iPhone-Spezial 1: Test des iPhone 4S als Camcorder
Das Smartphone verändert die Welt. Anscheinend auch die der Filmer. Immer häufiger sind Menschen zu sehen, die ein iPhone vor sich halten, um damit ihre Aufnahmen zu machen – und das sind nicht mehr alles Amateure. Kann das Telefon tatsächlich dem Camcorder gefährlich werden? Glühende Mac-Fans postulieren bereits den Untergang von Fotound Videoindustrie, klassische Fotografen üben sich in schärfster Ablehnung. Die Wogen der Polemik schlagen hoch. Wie gut iPhone-Videografie tatsächlich ist, zeigt unsere Zustandsbeschreibung.
Die Technik
Die iPhone-Kamera ist beim aktuellen Modell 4S deutlich verbessert. Die Lichtstärke stieg mit Blende 2,4 gegenüber 2,8 beim Vorgänger trotz des größeren Bildformats von 1920 x 1080. Das iPhone 4 filmt nur mit 1280 x 720 Pixel. Das Display beider Modelle besticht mit einer Auflösung von 960 x 480 auf einem 8,9-Zentimeter-Display: Die Auflösung von 326 Bildpunkten pro Zoll (dpi) liegt oberhalb des menschlichen Sehvermögens – das fördert die Schärfekontrolle beim Filmen. Das Display spiegelt allerdings, und Tageslicht erfordert maximale Helligkeit, was die Energiereserven deutlich belastet.
Auch die Speicherkapazität ist je nach Modell auf 16, 32 oder 64 Gigabyte beschränkt, denn das iPhone hat noch immer keinen Speicherkarten-Einschub. Bei einer Datenrate von 24 Megabit pro Sekunde bleiben da maximal 1,5 Stunden Aufnahmezeit bei der 16 GB-Version, wenn keine weiteren Daten gespeichert sind: Schließlich ist das iPhone gleichzeitig Spielkonsole, MP3-Player, 8-Megapixel-Fotoapparat und – ach ja – Telefon.


Auf dem Rechner (egal, ob Mac oder PC) landen die Daten per USB-Verbindung. Der iPhone-Foto/Video-Ordner wird erkannt, und die Dateien können im Quicktime-Format (.mov) auf die Festplatte gezogen werden. Gelesen werden diese H.264/MPEG-4-Dateien von fast jedem Player. Die Full-HD-Kamera sitzt unscheinbar und unpraktisch im linken oberen Eck. Es gibt eine zweite Web-Kamera mit VGA-Auflösung, mit der sich der Smartphoner selbst filmen kann (sie wird im folgenden nicht weiter untersucht).
Geöffnet wird die Kamera über das vorinstallierte Programm (App) namens Kamera, das im neuen Modell recht schnell (drei Sekunden) betriebsbereit ist. Ein Doppeltipp aufs Display vergrößert die 16:9-Live-Ansicht ins 4:3-Format. Das hat jedoch keinen Einfluss auf die 16:9-Aufzeichnung in Full HD mit 1920 x 1080 Pixel, es ist lediglich eine Hilfe zur Schärfebeurteilung. Die Kamera-App kann per Schiebesymbol zwischen 8-Megapixel-Fotofunktion und Video umgeschaltet werden, dabei sinkt die Weitwinkel-Brennweite von etwa 30 auf 44 Millimeter (umgerechnet in Kleinbild). Das iPhone 4S hat jetzt einen eingebauten digitalen Bildstabilisator, der stets aktiviert ist. An die Miniklinken-Buchse für das Telefon-Headset passen auch externe Mikrofone, die allerdings meist einen Adapter verlangen. Auch mit diesem gibt es nur Monoton – immerhin mit 16 Bit und 44,1 Kilohertz. Wie es auch in Stereo geht, klärt der Test auf Seite 30. Ohne externes Mikrofon benutzt das iPhone das eingebaute Telefon-Sprechmikro zur Tonaufzeichnung.
Das iPhone arbeitet mit variabler Bildrate: Bei wenig Licht nimmt es um die 20, bei heller Beleuchtung maximal 30 Bilder pro Sekunde auf. In der Kombination mit Videoszenen anderer Kameras mit fester Bildrate kann es beim Schnitt vor allem zu Tonproblemen kommen. Es gibt Apps, die versuchen, die Bildrate zu zementieren (etwa Filmic Pro), doch führte das nicht zu wirklich überzeugenden Ergebnissen.
Der Test
Zum Test trat das iPhone 4S mit einer Erweiterung, der Applikation Almost DSLR an, welche die Bedienung und damit die Ergebnisse deutlich verbessert. Die App kostet 1,59 Euro und erlaubt die getrennte Arretierung von Schärfe, Blende und Weißabgleich. Die Messung bestätigte die Sichtergebnisse: Das iPhone ist ein hochwertiger Einsteiger-Camcorder, der bei Farbtreue und Bildschärfe fast alle Fun- und Pocket-Camcorder hinter sich lässt.
Der automatische Weißabgleich und der Autofokus arbeiten noch zu schnell und zu ruckartig. Aber immerhin – es gibt sie. Die Einstellung der Shutterzeit entfällt, schon wegen der variablen Bildrate, die sich je nach TV durch gleichmäßiges oder plötzlich auftretendes Ruckeln bei Schwenks bisweilen bemerkbar machte. Insgesamt war die Kamera dadurch allerdings recht lichtstark – sie steckte viele Einsteiger-Camcorder der vorigen Saison mit diesem Trick in die Tasche. Andererseits sitzt vor der Minilinse auch nur wenig Glas, weil das Zoom fehlt, also auch keine Lichtstärke nachlässt, weil gezoomt wird. Von Apps, die dem Gerät einen künstlichen Zoom verpassen, ist daher abzuraten.
Rauschen hielt sich entsprechend in Grenzen, mit Ausnahme von gesättigten Neonfarben, wie dem Magenta unseres Testaufbaus, das deutlich grieselte – sogar noch bei Tageslicht-Stimmung. Rolling-Shutter-Effekte, also verzogene senkrechte Linien, sind ein Thema: Das Display zeigt den Effekt bei zügigerenSchwenks in unerträglichem Maß, am TV sieht es dann akzeptabel aus. Langsam und gleichmäßig zu schwenken ist dennoch ein Gebot.


Der Ton klingt neutral und absolut störgeräuschfrei. Das eingebaute Mikrofon hat sogar einen recht guten Frequenzgang, mit etwas schwachen Bässen. Doch da das Mikrofon beim Filmen auf der falschen Seite sitzt, also zum Filmer hingewandt, ist die Reichweite bei Sprachaufnahmen äußerst begrenzt. Erst mit der kombinierten Kopfhörer-/Mikrofonbuchse taugen Klang und Kontrolle für professionelle Sprachaufnahmen.
Die Bedienungsbewertung bereitete Kopfzerbrechen. Ergonomisch ist das Gerät über jeden Zweifel erhaben, denn nie war eine Kamera leichter mitzunehmen, nie waren die Daten leichter zu handhaben – und eine potente Schnittsoftware ist auch gleich eingebaut. Schöne Menüs und in diesen eine ordentliche Benutzerführung gab es ebenfalls, nicht umsonst ist das iPhone für sein revolutionäres Bedienkonzept bekannt.
Eine sinnvolle Bedienanleitung indes fehlt. Der Anwender bastelt sich seine Kamera aus einigen Apps und Internet-Infos selbst zusammen. Das größte Manko sind die fehlenden Bedienelemente: Es gibt kein Blenden- oder Schärferad, und jedes Tippen auf das Display sorgt für Erschütterungen.
Die Akkulaufzeit geht in Ordnung, doch die Energieversorgung ist bei einem Smartphone Teil des Gesamtproblems. Wer viel filmt, wird sicherlich Zusatz-Powerpacks verwenden müssen. Im Winter bei Minusgraden brach die Energieversorgung bei unserem Testgerät zusammen. In warmer Umgebung erholte sich das Gerät wieder.
Auf der nächsten Seite finden Sie die Testergebnisse samt Messwerten.
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Teil 2: Aufnahmetechnik Teil 3: Audio-Zubehör Teil 4: Der Schnitt (mb)TESTERGBENIS
Apple
iPhone 4S
Preis: 849 Euro
Das iPhone steht mit 60 Punkten in der Mitte der Bestenliste. Es läßt eine beachtliche Anzahl auch renommierter Camcorder hinter sich, die filmenden Kompakt-Fotoapperate sowieso. Die technische Qualität der kleinen Optik ist erstaunlich gut, Verbesserungsbedarf gibt es bei Autofokus und leichtem Ruckeln bei Schwenks. Das Preis/ Leistungsverhältnis ist insofern gut, als dass die Kamera nur eine Teilfunktion des Gesamtgeräts ist.
+ hohe Schärfe
+ mitnahmefreundlich
- ruckelnder Autofokus
- ohne Hilfen schlecht führbar
BILDTEST max. 30 Punkte Schärfe (25%) sehr gut Farbwiedergabe (10%) sehr gut Kontrastumfang (5%) gut Bildfehler (10%) befriedigend Bildrauschen (15%) gut Autofokus (10%) befriedigend Stabilisator (10%) befriedigend Lowlight (15%) sehr gut ERGEBNIS gut 21 TONTEST max. 15 Punkte Klangqualität Sprache (30%) befriedigend Klangqualität Musik (20%) befriedigend Räumlichkeit (15%) mangelhaft Eigengeräusche (20%) sehr gut Rauschen (15%) sehr gut ERGEBNIS befriedigend 8 BEDIENUNG max. 10 Punkte Ergonomie (25%) gut Benutzerführung (15%) gut Bedienungselemente (25%) ausreichend Menü (15%) gut Fernbedienung (10%) befriedigend Bedienungsanleitung (10%) ausreichend ERGEBNIS befriedigend 5 MESSLABOR max. 25 Punkte ERGEBNIS gut 18 AUSSTATTUNG max. 20 Punkte ERGEBNIS ausreichend 8 URTEIL (max. 100 Punkte) befriedigend 60 Preis/Leistung gut

MESSWERTE
Apple iPhone 4S (A1387)
DELTA E 94 FARBABWEICHUNG


Das Delta-E-94-Diagramm zeigt sehr stimmige Farben sowohl bei Kunstlicht wie bei Taglicht, nur Türkis weicht etwas mehr ab. Das Sättigungsdiagramm zeigt auch bei Schwachlicht (schwarze Linie) sehr hohes Niveau, nur dunkle Grünfarben sind unterrepräsentiert.
LUMINANZKURVE

Überraschend hohe Schärfeleistung in allen Kurven. Erst bei 850 Linienpaaren/Bildbreite wird die Kontrastschwelle unterschritten. Auch Schwachlicht (hell-blau) hält sich gut, sinkt aber jenseits der 400 Linienpaare deutlich ab.
TONFREQUENZKURVE

Das Mikrofon ist etwas bassschwach und erreicht den vollen Pegel genau genommen erst ab etwa 630 Hertz. Bis zum Abfall bei 14.000 Hertz ist der Verlauf dann jedoch recht linear.
MESSLABOR Vertikale Auflösung 824 LP hervorragend Horizontale Auflösung 838 LP hervorragend relative Farbauflösung
37,7% gut
relative Horizontalauflösung 71,1% gut relative Vertikalauflösung 62,2% gutKontrastverhältnis 30/150 Lux
0,39/0,8 befriedigend Rauschen 900 Lux 4% gut Rauschen 300 Lux 3,6% sehr gut Farbabweichung 150/900 Lux 7,7/7,9 gut Blendensteuerung 460 ms/640 ms Blende hell-dunkel /dunkel-hell sehr gut Mikrofonfrequenzgang 55,18% befriedigend Übertragungsbereich 120 Hz-17 kHz sehr gut Aufnahmezeit Display 100 Min. befriedigend WERTUNG MESSLABOR max. 25 Punkte 18/gutAutor: |
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