Praxis-Test: Videoproduktion mit dem iPad
Meine erste Reaktion war alles andere als optimistisch – obwohl ich von den Möglichkeiten des Geräts angetan bin. Ich hielt es für gewagt, auf die Einstellmöglichkeiten einer „richtigen" Kamera zu verzichten, mit extrem eingeschränkten Schnittmöglichkeiten zurecht kommen zu müssen, ganz zu schweigen von etwaigen Problemen bei der Integration von vorhandenem Material. Erst recht unter Messebedingungen.
Aber zu schnell wollte ich doch nicht aufgeben. Immerhin ist digitalkamera.de kein Videoportal, sondern eine Foto-Site, und bei den Videos ging es mehr um Aktualität als um höchste Qualität.
Das Schnittprogramm
Kern der Produktion war das Schnittprogramm Pinnacle Studio. Erste Tests mit dem Tool auf einem iPad (hier im Vergleichstest) der dritten Generation stimmten mich etwas zuversichtlicher: Besonders die Möglichkeit, direkt aus der Anwendung heraus die Kamera anzusteuern, versprach eine unkomplizierte Produktionsweise.
Kompliziert ist allerdings der Import von vorproduzierten Titeln. Deshalb versuchte ich, auch die Titel mit der Pinnacle-App zu erzeugen. Dafür erstellte ich ein JPEG des Digitalkamera.de-Logos vor schwarzem Hintergrund in HDTV-Auflösung. Darüber legte ich in der App den Titel und unterlegte das Ganze mit dem Sound-Logo, von dem ich zuvor eine MP3-Version erstellt hatte. Das klappte, sogar ein sanftes Ein- und Ausblenden des Titels wirkte elegant. Zusätzliche Schrifttafeln ließen sich mit dem Titelgenerator der App erzeugen. Probleme bereitete die App mit der Voiceover-Funktion: Clips ließen sich mit Kommentaren unterlegen, die ich über ein angeschlossenes Mikrofon synchron aufsprechen konnte. Bei der ersten Wiedergabe passte das auch. Wenn ich allerdings ein Projekt schloss und wieder öffnete, brach der Kommentar nach etwa einer Sekunde ab. Dieses Problem löste die Pressseabteilung des Programm-Herausgebers Corel: Am Freitag vor Messebeginn stellte man uns eine Beta-Version zur Verfügung, in der dieses Problem behoben war.
Der Upload von Clips zu YouTube und die Integration in das Redaktionssystem funktionierten reibungslos. Am Tag vor dem Pressetag der Photokina machte ich einen letzten Versuch unter möglichst authentischen Bedingungen. Das Resultat erleichterte die Entscheidung.

Ungewöhnliche Konstruktion: Die iPad-Halterung wurde auf einem Video-Schwenkkopf befestigt. So ließen sich auch Kamerabewegungen realisieren.
Einen Test von neun Schnitt-Apps, auch für Android und Windows 8, finden Sie hier.

Die Halterung
Zuvor hatten wir noch das passende Equipment zusammengestellt: Das iPad bietet keine direkte Befestigungsmöglichkeit, deshalb benötigten wir eine Halterung, um es auf einem Stativ anbringen zu können. Die einzige wirklich darauf abgestimmte Lösung bietet der Hersteller Makayama an – leider nur virtuell: Online wird zwar eine Halterung mit Befestigungsmöglichkeit für ein Mikrofon oder eine Leuchte angeboten, doch auf mehrere Mails zur Verfügbarkeit erhielt ich keine Antwort.
Stattdessen verwendeten wir eine Halterung des deutschen Herstellers König & Meyer. Die ist eigentlich dafür gedacht, das iPad als Notenständer einzusetzen, und hat statt der bei Stativen üblichen Aufnahme für ein 1/4-Zoll-Gewinde eine 3/8-Zoll- Aufnahme. Dieses Problem ließ sich aber mit einem Adaptergewinde leicht lösen. Die Halterung lässt sich drehen, so kann das iPad sowohl horizontal als auch vertikal eingesetzt werden – was für Videoaufnahmen gar nicht nötig wäre. Das Pad rastet zwar in beiden Positionen ein, wirklich fest hält es dabei aber nicht. Eine „richtige" Videohalterung wäre praktischer gewesen.
Der Ton
Unser Grundkonzept war einfach: In wenigen Minuten sollte jeweils ein Pressesprecher oder Produktmanager seine neuen Produkte vor der Kamera präsentieren. Um unmittelbar nach der Aufnahme den Ton zu kontrollieren, steckten wir in den Mikrofon- und Lautsprecheranschluss des iPads einen Adapter, der Mikrofon- und Kopfhörersignal trennt – es gibt ihn für wenige Euro im Fachhandel. So musste ich Kopfhörer und Mikrofon nicht ständig ein- und ausstöpseln. In ruhiger Umgebung gelang die Tonaufzeichnung mit einem Ansteckmikrofon recht gut, vor Ort zeigten sich die Tücken: Die Tonaufnahmen übersteuerten wegen der lauten Umgebungsgeräusche auf der Messe massiv.
Die Kamera
Sonst gab es bei der Aufzeichnung keine Probleme. Natürlich ist es eine Einschränkung, dass sich ein Einstellungswechsel ohne Zoom nur durch Neupositionierung der Kamera erzielen lässt. Auch ist die Standard-Kamera-App nicht für jedes Projekt geeignet: Alle Bildeinstellungen werden automatisch vorgenommen, was unter anderem unbeabsichtigte Helligkeits- und Fokusveränderungen mit sich bringt.
Eine alternative Aufnahme-App mit mehr Kontrollmöglichkeiten wie etwa „Almost DSLR" wäre für eine anspruchsvollere Produktion angemessener. Der Zeitaufwand für die Nachbearbeitung wäre dadurch aber deutlich höher. Praktisch ist es hingegen, dass man misslungene Takes gleich löschen kann. So stehen für die Nachbearbeitung tatsächlich nur die Clips zur Auswahl, die gebraucht werden.
Durch Kopieren legte ich für jeden Clip in der App ein neues Projekt an, in dem Haupttitel und Abspann bereits vorlagen. Die Kameraaufzeichnung konnte direkt in der App gestartet werden, die einzelnen Clips standen so gleich für die Nachbearbeitung zur Verfügung. Die Aufnahmen bei den verschiedenen Herstellern waren jeweils in etwa einer Viertelstunde abgedreht. Eine LED-Leuchte sorgte in einzelnen Situationen für Aufhellung.


Der Schnitt
Die durchgängige Präsentation sollte jeweils mit Nahaufnahmen des vorgestellten Produkts unterschnitten werden. Da die Pinnacle-App keine Insertschnitte ermöglicht, ließ sich das nur mit etwas Kopfrechnen und viel Fummelei lösen: Aus dem Basis-Clip entfernte ich jeweils einen Ausschnitt von exakt der Länge, die ich stattdessen einsetzen wollte – was mit der Gestensteuerung alles andere als leicht ist. Praktisch war dabei die Möglichkeit, den O-Ton separat auf eine geschütze Tonspur zu legen. Bei der Postproduktion erlangte ich schnell eine Routine, so dass ich bald auch unter Messebedingungen schneiden konnte. Es ist verblüffend, wie leicht der Schnitt ohne Hilfe von Tastatur und Maus, sondern nur durch direktes Bewegen per Finger am Bildschirm zu vonstatten geht. Das klappte sogar in der S-Bahn: Noch auf dem Weg zu meinem Hotel stellte ich einen Clip fertig.
Das Hochladen
Internet-Anschluss hatte ich im Messe-Pressezentrum und in meinem Hotel. Der Upload direkt aus dem Programm lief reibungslos, dauerte aber zumindest bei längeren Videos eine Weile – währenddessen ließ sich das iPad nicht für anderes nutzen. Gerade bei der Produktion von längeren Videos kann das zum Problem werden.
Fazit
Meisterwerke sind auf diesem Weg nicht entstanden. Wir waren aber extrem aktuell: Schon am Pressetag konnten wir die ersten beiden Videos online stellen. Als größte Einschränkung empfand ich, dass die Standard-Kamera-App des iPad, die auch das Pinnacle-Programm nutzt, keine manuellen Einstellmöglichkeiten für Bild und Ton erlaubt. So wechselten Helligkeit und Farbwiedergabe zum Teil während der Clips, und der Ton übersteuerte meistens deutlich. Wenn es aber auf den Informationsfluss und die Geschwindigkeit der Produktion ankommt, ist dieser Weg durchaus praktikabel: Schneller und einfacher lassen sich Videos wohl kaum herstellen und veröffentlichen.
(Rainer Claaßen)
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