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Drehbericht: Erfahrungen mit der Canon XF 100

Eher unfreiwillig wurde Martin Gremmelspacher in Marokko zum Freund des Canon XF 100, des kleinsten sendetauglichen Camcorders mit 4:2:2-Farbaufzeichnung. Angefangen hat alles mit einem Unfall auf der Rolltreppe des Frankfurter Flughafens. Ich wollte noch danach greifen, aber es war zu spät: Hilflos musste ich zusehen, wie der blaue Petrol-Rucksack mit der leicht betagten HDV-Kamera Canon XL H1s über die Vorderräder des Trolleys purzelte.


 

Nach etwa drei Metern freien Flugs krachte er auf eine der Stahlstufen. So etwas kann schon mal passieren, aber 40 Minuten vor dem Abflug nach Marokko war an Ersatz natürlich nicht mehr zu denken. Dort sollte eine neue Episode meiner Serie „Sky Golf Tours" gedreht werden. Ich war schon auf dem Weg zum Serviceschalter, um meinen Flug zu stornieren, als mir wieder einfiel, dass ich zu Testzwecken auch eine kleine Canon XF 100 im Gepäck hatte. Sollte ich es wagen?

Leider lag die XF, zum Schutz umwickelt mit T-Shirts, tief in meinem Koffer vergraben, den ich bereits als Gepäck aufgegeben hatte – sonst hätte ich sie wenigstens ausprobieren können während des vierstündigen Fluges. In Casablanca angekommen, packte ich gleich aus: Ladegerät, Mikrofon, Akkus, Weitwinkelvorsatz und Compact-Flash-Karten ... Tja, die Speicherkarten: Davon hatte ich nur zwei, aber ein Riesenpaket DV-Bänder, die ich nun wohl nicht mehr bräuchte. Sollte die XF 100 den Praxistest bestehen, würde ich also während der Dreharbeiten jeden Tag den Inhalt auf den Computer überspielen müssen.

Professionelle wirkung

Andererseits gefiel mir, dass die XF 100 mit den gleichen Akkus gefüttert werden kann, die ich auch für die XL verwende. Natürlich hält die neue Akkugeneration die Kamera länger am Laufen, aber dass die alten immer noch in die Slots passen – das ist professionell!

Weil die XF 100 zwei XLR-Eingänge und einen externen Mikrofonhalter hat, baute ich das mitgebrachte Sennheiser MD 46 gleich an und setzte das Sachtler-Licht Reporter 8 in den Universal-Zubehörschuh am vorderen Griffende: So macht die kleine XF 100 Eindruck. Jedenfalls sieht es professionell genug aus, dass die Verantwortlichen an den Drehplätzen, die ich besuchte, keinen Zweifel hatten, einen Profi vor sich zu haben.

Zum ersten Test nahm ich die Kleine am Henkel und führte sie in der flirrenden Mittagshitze durch Casablanca. Auf dem hochauflösenden Monitor sah das Ergebnis schon mal gut aus. Beeindruckend scharf und glasklar. Ein weiterer glücklicher Umstand sorgte dafür, dass die XF 100 auf meinem Vinten-Stativ Vision 5 AS Platz nehmen konnte, denn der Adapter der XL H1s (TA 100) passt in die vorgesehenen Schraublöcher.

  01 zwerg mit talent

Mit Mikrofon und Leuchte aufgerüstet, machte der XF 100 in Marokko beim Dreh für die Golftours-DVD eine gute Figur.

 

 

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Preis: 14,95 Euro

02 zwerg mit talent Mit dem aufgesetzten Weitwinkel-Vorsatz passt die Moschee Hassan II. voll in den 16:9-Bildausschnitt.

Durchdachtes Konzept

Erfreulich: Bei der XF 100 liegen alle Bedienelemente nah beieinander und dennoch so sauber voneinander getrennt, dass man sich nicht vertun kann. Ich bediente das Gerät nach wenigen Stunden fast ohne hinzusehen – alle wichtigen Schalter sind direkt zu erreichen. Wichtige Funktionen kann man durch ein längeres Drücken auf den Knopf am Einstellrad links unter der Optik schnell aktivieren. Seltsam nur, dass die Blende in der Grundauswahl nicht dabei ist; sie kann aber im Menü ausgewählt und zugeteilt werden. Damit konnte ich am großen Objektivring fokussieren und gleichzeitig mit dem linken kleinen Finger bequem das Licht nachregeln. Der große Objektivring lässt sich auf Zoom, Blende oder eben Fokus umstellen. Das ist in der Praxis aber umständlich, zumal er Zoom und Blende etwas schwammig regelt. Fokussieren klappt dagegen recht gut, allerdings sollte man dazu erst auf das Objekt zoomen, mit der AF-Taste fokussieren und dann wieder auf Weitwinkel fahren.

Der Menü-Knopf ist neben dem Display angebracht, wird aber selten gebraucht, weil alle wichtigen Funktionen direkt an der Kamera eingestellt werden können. Es gibt also kein ständiges Fummeln und Suchen – und Weitsichtige müssen nicht mit der Lesebrille auf der Stirn herumlaufen.

Ob beim Schrei des Muezzin oder beim Golfabschlag: Praktisch ist der Vorab-Aufnahmemodus. Damit lassen sich bereits drei Sekunden Video einfangen, die man sonst verpasst hätte. Und das schon, bevor man überhaupt den Auslöser betätigt. Möglich macht das ein interner Datenspeicher, der ständig überschrieben wird.

Bei Interviews auf den Golfplätzen half mir das Sennheiser-Mikro, für das ich auch einen professionellen Windschutz dabei hatte. Bei wenig Wind und so gut wie keinen Nebengeräuschen kann man die Interviews getrost mit der Automatik aufnehmen. Aber auch manuelles Nachregeln klappt mit der kleinen 100er ganz hervorragend, selbst wenn die Kamera nicht auf dem Stativ steht. Die Regler sind direkt gegenüber den XLR-Anschlüssen angebracht und so kann man bequem den Daumen benutzen, um den Poti zu betätigen.


Bild in Balance

Ein äußerst effektiv arbeitender „Dynamic"-Stabilisator, der im Menü aktiviert werden kann, machte mir bei Action-Aufnahmen besonderen Spaß. Selbst bei Mitgeh-Aufnahmen ohne Weitwinkelvorsatz erscheint das Bild fast wie über ein teures Schwebestativ erstellt. Da fiel mir erst auf, wie sich die Stabilisierungstechnik in den jüngsten Jahren verbessert hat.

Aber kein Golf-Film ohne Weitwinkel. Besonders die Innenaufnahmen von Ressorts und Hotels, die im Touristikteil der Sendung ihren Platz haben, gehen nicht ohne. Ich hatte deshalb den Weitwinkel-Konverter WD H58W im Gepäck, den man laut Canon auch bei häufigem Zoomen einfach auf der Kamera lassen kann.

Zuverlässiges Zoom

Und tatsächlich: Beim Filmen der Moschee von Hassan II. fiel es mir erstmals auf: Das optische 10-fach-Zoom der XF 100 ist trotz des Konverters direkt durchzoombar. Allerdings musste ich vorher den Menüpunkt „Conversion Lens" ansteuern und den WD H58W eingeben. Denn nur so schleicht sich auch bei schnellem, automatischem Fokussieren keine Unschärfe ein. Wer allerdings, aus welchen Gründen auch immer, den Konverter häufig abschraubt, kann sich die Einstellung im Menü auch sparen – das ist zu umständlich. Allerdings muss er dann bei aufgestecktem Konverter sehr genau fokussieren und immer noch einmal in den Sucher schauen, um wirklich sicher zu gehen. Den Autofokus sollte man dann nicht auf „Instant", sondern auf „Standard" stellen. Ich habe den ganzen Dreh über so gearbeitet – und nach der ersten Übungsphase gab es nicht ein unscharfes Bild mehr zu beanstanden. In Zweifelsfällen helfen die Vergrößerungsfunktion am vorderen Griffende oder das gute, zweistufige Peaking-System. Bei prallen Gegenlichtaufnahmen musste ich aber feststellen, dass das Weitwinkel immer Reflexionen aufwies. Ohne blieb das Bild dagegen „sauber". Die Gesichtserkennungs-Funktion ignorierte ich – ich wollte im Gewühl des Marrakesch-Sukhs selbst entscheiden, wer wann im Fokus ist, zumal die Funktion da ohnehin völlig überfordert war.

Der Sucher hilft dabei wenig, und seine Dioptrie wird mit einem kleinen ruppigen Hebel eingestellt, der sich bei meiner HF 100 gerne auch mal von selbst verstellte. Ein kleines Rädchen (wie an Canon-Fotokameras) wäre hier die zuverlässigere Hilfe. Eingebaut ist in der Kamera auch ein digitaler Telekonverter (1,5 x/3 x/6 x), der zumindest im 1,5-fach-Bereich noch einwandfreie Bilder liefert. Dafür aber auf alle Fälle das Weitwinkel abnehmen. Bei 3-fach- oder gar 6-fach-Digitalzoom entstehen sichtbare Artefakte, da lohnt es, den Tele-Konverter TL-H 58 zu kaufen. Mir fehlte er.

  03 zwerg mit talent Wird die Blendenfunktion auf den Drehknopf gelegt, sind Fokus und Blende direkt im Zugriff. 04 zwerg mit talent Im Menü der XF 100 muss der Weitwinkelvorsatz erst angemeldet werden, bevor man ihn ohne Nebenwirkungen nutzen kann.

Abends, auf dem Djemma El Fna, einem riesigen Platz im Herzen Marrakeschs mit Szenen wie aus 1001 Nacht, wollte ich Stimmungsbilder einfangen. Dabei half mir natürlich das Sachtler-Kopflicht ein wenig bei der Aufhellung, aber dennoch musste ich die Verstärkung (Gain) ab und zu auf 9 Dezibel hochziehen. Ich versuchte, soweit wie möglich nur mit 3 oder 6 Dezibel zu drehen, damit mein Cutter nicht vor einer Gries-Suppe sitzen müsste. Wirklich genügend Licht hatte ich allerdings erst mit 12 Dezibel im Sucher. Leider drehte ich davon zu wenige Aufnahmen, denn dem fast griesfreien Bild auf dem Display traute ich nicht. Doch selbst diese 12-Dezibel-Bilder waren noch sendefähig und voll nutzbar – es gibt zwar ein Rauschen, aber das ist vergleichsweise unauffällig.

Daten-Handling

Der Cutter kämpfte mit einem ganz anderen Problem, das fast die Sendung gekippt hätte: Ich hatte meine Dateien ordentlich gesichert, aber in einem neuen Ordner neu benannt. Eigentlich logisch, denn so kann der Cutter gleich erkennen, um was es sich handelt. Wer ein Final-Cut-Schnittsystem von Apple hat, sollte genau das aber vermeiden. Final Cut kann die Dateien dann nicht mehr erkennen – die Ordnerstruktur ist für immer verloren. Deshalb ist es wichtig, entweder genügend Compact-Flash-Karten mitzuführen und nur die Originalbilder dem Apple-System zuzuführen oder aber alle Dateien unverändert in nummerierte Bins zu speichern und vor dem Schnitt wieder auf eine Karte zu kopieren.

Irgendwie fand ein im Digitalfile-Verwalten erfahrener Cutter-Kollege schließlich einen Dreh, alle Daten in MOV-Dateien umzuwandeln – und wir konnten doch noch mit dem Schnitt beginnen. Ein heißer Ritt: Der Schnitt musste bis zur Sendung in der Hälfte der sonst zur Verfügung stehenden Zeit fertig werden. Das gedrehte Material zeigte einen schönen, weichen, farbnuancierten Look, den wir zum Teil der 4:2:2-Farbaufzeichnung der Kamera zuordneten.

Fazit

Die Canon XF 100 ist eine Kamera, die für praktisch jeden Einsatz taugt. Mit wenigen Handgriffen und zusätzlichen Aufbauten wie Mikrofon und Licht kann man mit ihr professionelle Szenen drehen. Meine Canon XL H1s ruhe in Frieden – ich habe sie kaum einmal beim Dreh vermisst.

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