Leserproduktion Jakobsweg: der erfolgreichste Amateurfilm
Mein Bankjob füllt mich nicht völlig aus. Darum verbringe ich viel Zeit mit meiner geliebten Freizeitbeschäftigung, dem Filmen. Ich suche mir ein Thema und mache dazu Video-Vorträge, weil ich den direkten Kontakt mit dem Publikum schätze und das bewegte Bild dem Standbild vorziehe.
Vor vier Jahren las ich das Buch „Ich bin dann mal weg", Hape Kerkelings Bericht seiner Pilgerreise auf dem Jakobsweg durch den Norden Spaniens. Da ich aus einer gläubigen Familie komme, beschloss ich sofort, die Reise ebenfalls anzutreten – und zu meinem neuen Filmthema zu machen. Allerdings sollte Religiösität nicht die Kernmotivation des Films sein. Was aber sonst? Als jemand, der gerne ins Kino geht, weiß ich, dass ohne ein gutes und stimmiges Drehbuch der bestgemeinte Film nichts wird. Deshalb wälzte ich jede Menge Literatur, um die Idee für den roten Faden – den Weg selbst – zu finden. Schnell war klar: Erst wandern, dann filmen, würde die beste Lösung sein.
Schon bei der Wanderung habe ich dann aber doch schon fleißig gefilmt, wenngleich noch ohne Struktur. Ich sprach viele andere Pilger an und befragte sie vor der Kamera nach ihrer Motivation. Die schönsten Antworten sind später in den Film eingeflossen. Eine Schwedin namens Ida lieferte mir mit ihrer Antwort die Storyline für meinen Film. Sie sagte einfach: „Ich möchte meine Seele atmen lassen". Dieses „die Seele atmen lassen" bestimmte fortan den Duktus meines Films. Ihm sollten sich mein Weg und seine Bilder unterordnen.


Die Technik
Da vor vier Jahren die ersten hochauflösenden Videokameras auf dem Markt waren, wurde meine lte 16-Millimeter-Kamera gegen eine handliche Sony HDR-FX 7 ausgetauscht. Bei ersten Testwanderungen im Deister nahe meinem Wohnort Hannover machte ich mich mit der Bedienung vertraut und testete die Bildeinstellungen. Das war wichtig, denn für einen langen Film ist ein gewisser „Look" einfach notwendig.
Professionelle Film- und Fernsehproduktionen gleichen Szenen im Aussehen einander an. Das wollte ich auch, doch eine teure Lichtbestimmung konnte ich mir nicht leisten. Die Tricks stehen in normalen Schnittprogrammen auch nicht einfach zur Verfügung. Ich habe deshalb darauf geachtet, nur bei ähnlichen Lichtsituationen zu filmen und ganz klassisch das Morgenoder Abendlicht ausgenutzt. Daher erreicht der Film schon durch die Aufnahmen eine ausgewogene Stimmung – woran ein gütiger Wettergott allerdings nicht ganz unschuldig ist. Zwischen 10 und 15 Uhr legte ich die Kamera aber konsequent aus der Hand. Um den Charakter meiner Reise zu unterstreichen, wollte ich „Jakobsweg" komplett mit einem Schwebestativ drehen. Man wandert schließlich, und ich fand, das sollte man auch erleben. Durch den Test in VIDEOAKTIV 3/2007 wurde ich auf das Merlin aufmerksam. Das Stabilisierungssystem erschien klein und leicht genug, um es die ganze Zeit beim Wandern im Rucksack mit dabeihaben zu können.
Bald merkte ich: Die meditative Bildruhe, die mir vorgeschwebt hatte, lieferte das Merlin nicht ganz. Besonders Wind machte ihm zu schaffen. Dafür sahen die Aufnahmen, die ich mit ihm beim Wandern drehte, umso authentischer aus. Daher war das Stativ (wenigstens im Nachhinein betrachtet) die perfekte Wahl gewesen.
Weil ich mich nicht nur auf das eingebaute Mikrofon verlassen wollte, nahm ich die Interviews immer parallel mit einem Edirol-Taschenrecorder R-09 HR auf, der damals gerade neu auf den Markt gekommen war. Ob ich denn überhaupt schon Ahnung von Filmschnitt hätte, fragte man mich bei der Firma inside-media, wo ich mir den Schnittcomputer kaufte. Meine Antwort: „Ja, aber nicht am PC". Ich wollte deshalb ein Programm, mit dem ich schon nach kurzer Einarbeitung loslegen konnte. Daraufhin wurde Edius 4 auf dem neuen PC installiert. Eine gute Wahl, schon nach kurzer Zeit hatte ich das Programm verstanden.
Dreh und Bearbeitung
Ich bin erst einmal losgepilgert. Dann schrieb ich das Drehbuch – und fuhr noch einmal nach Spanien, um einige Szenen nachzudrehen. Vor allem die mit mir selbst, denn ich stand als Erzähler auch im Drehbuch. Das muss auch so sein: Bei diesem Thema, davon war ich überzeugt, würde ein unpersönlicher Bericht auch nur einen unpersönlichen Film liefern. Viele Aufnahmen von mir hat ein Bekannter gemacht, der mich auf der Nachtour begleitete. Außerdem brauchte ich für Szenen wie in den Kathedralen erst einmal eine Dreherlaubnis.
Beim Schnitt im Anschluss an die beiden Reisen nach Spanien merkte ich, dass der Film immer noch nicht wie aus einem Guss wirkte: Ich bin schließlich sogar noch zwei weitere Male in den Süden gereist, um weitere Szenen einzufangen, die mir fehlten. Erst dann stimmte mein Drehbuch mit dem Film überein – und eben auch mit meinen Erfahrungen beim Pilgern.
Vier Monate dauerte der Schnitt einschließlich der Erstellung des Kommentars und der Vertonung. Länger als alle Touren zum „Jakobsweg" insgesamt. Einmal mehr stellte ich fest, wie schmerzvoll doch die alte Cutter-Regel „Kill your Darlings" auch bei „Jakobsweg" zuschlug. Die schönsten Szenen fliegen raus, wenn sie nicht passen. Eine andere Einschränkung gebietet mein Verständnis von Ethik: Die Intimität etwa, mit der die Pilger die Jakobus-Statue umarmen, wollte ich achten. Das sind Momente, die nur den Menschen gehören sollten.


Der Ton
Bei einigen Aufnahmen – etwa beim optisch sehr eindrucksvollen Ritterturnier in León – war im Hintergrund Hollywood-Musik zu hören. Darauf wollte ich nicht verzichten: Sie kontrastiert die ruhige Sequenz im Anschluss. Kurzentschlossen erhielt ein Musiker meines Bekanntenkreises, der nicht bei der Gema gemeldet ist, den Rohschnitt der Ritterszene. Er komponierte binnen drei Wochen darauf eine Musik. Da ich unverdächtigen Originalton (Klatschen, Trommelwirbel) dazu gemischt habe, klingt die Musik jetzt sogar „echter" als vorher.
Ich spreche bei meinen Vorträgen den Kommentar immer live. Darum traute ich mir das auch für den Film zu. Weil ich keine Sprecherkabine habe, der Ton aber gut klingen sollte, ging ich in ein Tonstudio. Ich wollte nämlich eine DVD zu meinen Vorträgen anbieten. Der Kommentar saß bei dieser ersten Fassung aber noch nicht so ganz. Wie einzelne Stellen besser zu betonen sind, lernte ich erst im Laufe der Zeit.
Das Tonstudio bot mir auch an, alle Sprechpausen mit Musik zu füllen. Doch in meinen Ohren ist das eine grobe Unsitte. Meine Zuschauer konnten ja schlecht weglaufen – sie sollten die Ruhe auch so erleben: ruhig. Natürlich enthält mein Film auch Szenen mit Musikuntermalung, aber eben keine Nötigungshäppchen für ein anscheinend an Aufmerksamkeitsschwäche leidendes Publikum. Offenbar lag ich damit richtig: Für die unterlassene Musikeinspielung habe ich später häufig Lob erhalten.
(jos)Die DVD
Die erste DVD verkaufte sich bei den Vorträgen wie warme Semmeln. Deshalb bot ich sie Buchverlagen an – und kassierte reihenweise Absagen. Meist kamen die Umschläge sogar ungeöffnet zurück. Der Chef der DVD-Abteilung eines großen internationalen Buchverlags aber rief zurück und meinte, er würde meinen Film schon ins Programm aufnehmen, doch ich müsse mich zunächst an einen DVD-Verlag wenden. Er gab mir zwei Adressen.
Postwendend kam die Antwort des Verlags, in dem nun meine DVD tatsächlich erscheint. Zerknirscht meinte der Manager, es sei ihnen wohl entgangen, ein eigenes Team zum Jakobsweg zu schicken. Normalerweise würden sie so etwas selbst produzieren – aber in diesem Fall würde er eine Ausnahme machen.
Prompt bemühte ich mich, meinen Kommentar den neuen Gegebenheiten anzupassen und wurde gerade rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft 2007 fertig. Die Startauflage von 2500 Stück war sehr schnell verkauft. Der große Buchverlag übernahm die DVD tatsächlich ins Programm und später für einige Zeit sogar in den Ladenverkauf, allein 60 000 der bisher verkauften 75 000 DVD gehen auf diesen internationalen Vertrieb. Mittlerweile ist die DVD eine der bestverkauften, die der Verlag je herausgegeben hat. Deshalb wird sie (mit zwei anderen Pilgerfilmen und in neuem Gewand) am 1. April 2012 als Blu-ray erscheinen.
Bei der Blu-ray wird es sich um die neueste Version meines Jakobsweg-Films handeln, ich habe den im Laufe der Jahre noch zweimal leicht umgeschnitten und auch ein drittes Mal den Kommentar neu aufgenommen. Erst mit diesem Kommentar und dem neuen Schnitt bin ich jetzt ganz zufrieden. Naja, fast ...


Der Autor und Filmemacher
Volker Wischnowski (54) ist hauptberuflich Bankangestellter.
Der Liebe zum Film frönt er schon seit langem. Seine filmerischen Kenntnisse erwarb er teils autodidaktisch, teils brachte ihm ein ehemaliger Toningenieur des NDR den Tonschnitt bei. Begonnen hat er mit Super-8, später war er mit einer 16-Millimeter-Bolex unterwegs. Sein erster langer Film über die Seychellen entstand damit. Seit „Jakobsweg" filmt er in HDV. Da er sich keine 35 Tage Urlaub am Stück nehmen konnte, erwanderte er den „Jakobsweg" in zwei Etappen. Wischnowski arbeitet an einem videooptimierten PC mit der Schnittsoftware Edius und erzeugte dort binnen 120 Schnitt-Tagen den bislang erfolgreichsten deutschen Amateurfilm. Die Kosten für „Jakobsweg" kalkuliert Wischnowski inklusive der Anschaffung des PC auf etwa 25 000 Euro.
Das nächste Projekt soll in zwei Jahren erscheinen – und ein etwa 20 Mal so hohes Budget umsetzen. Dafür allerdings sucht Wischnowski noch Sponsoren.
Die DVD "Jakobsweg - die Seele atmen lassen" können Sie bei uns im Online-Shop bestellen.
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