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Ratgeber: Mogelpackung Kamera - die Tricks mit den technischen Daten

53 Megapixel-Fotos und 4K-Videoauflösung, dazu ein 16-fach Zoom und das Ganze für einen Preis von 100 Euro? Klingt zu schön um wahr zu sein und ist es auch, denn bei solchen Angeboten sollte man immer sehr genau hinschauen! Wir erklären, wie bei Kameraangeboten mit technischen Daten getrickst wird.


VA kamera logo 50px RATGEBER:basisierend auf Somikon ZX-8849, 99,99 Euro

Eigentlich wollten wir die Somikon ZX-8849 gar nicht besprechen, denn die Kamera liegt für unsere Leserschaft sicher nicht im Fokus des Interesses. Doch andererseits kann man anhand dieser Kamera gut erklären, wie man mit technischen Daten gut werben aber eben auch geschickt tricksen kann. Denn für technische Laien scheint die Kamera alles zu können, was man benötigt: Hochauflösende Fotos und 4K-Videos in bester Qualität, dazu noch genug Flexibilität durch ein 16-fach-Zoom und Bildstabilisation. Aber obacht: es heißt Digitalzoom und wer genauer hinschaut, erkennt, dass die Kamera mit einem 13-Megapixel-Sensor Fotos mit satten 53-Megapixel machen soll. Da können auch technisch wenig Bewanderte erkennen, dass das nicht wirklich zusammenpasst.

Wenn professionelle Eigenschaften auf absolute Kampfpreise treffen, ist die Trickserei nicht weit. Joachim Sauer erklärt im Video, wie Hersteller im Einsteiger-Segment die Technischen Daten ihrer Kameras künstlich aufbohren.

DER AUFLÖSUNGSTRICK

Die erste Frage ist: Wer braucht 53 Megapixel – die einfache Antwort: Nur Fotoprofis, die für (wirklich große) Plakatwände Bilder machen oder nachträglich weit in die Bilder zoomen und den Ausschnitt nachträglich bestimmen wollen. Ausdrucke bis A3 sind auch mit dem 13 Megapixeln unserer Beispielkamera Somikon ZX-8849 kein Problem. Entsprechend ist die Auflösung oft und gerade bei Einsteigern eher Last als Lösung und genau genommen völliger Unsinn. Denn die Qualität des Bilds wird durch die vorgenommene „Interpolation“, also das künstliche Hochrechnen in eine höhere Auflösung, nicht besser.

Beispiel Interpoliert

Farbübergänge berechnen können die Bildprozessoren meist noch recht ordentlich, doch schräge Linien im Bild werden oft mit „Treppchen" verziert zeigen und sind somit wenig schön. Kommt dann noch viel Bewegung dazu wird es komplett unbrauchbar. Im Beispielbild, entnommmen aus dem interpolierten 4K-Video einer Actioncam, sieht man deutliche „Treppchen" bei der schrägen Stütze im linken Bildbereich.

Denn der Sensor hat nunmal 13 Megapixel, entsprechend werden durch die Interpolation lediglich „Zwischendaten“ errechnet, was bei der Berechnung mit dem Kamera-Prozessor meist für weniger denn mehr Detailtreue sorgt. Meist kann man bei schrägen Linien anschließend „Treppchen" im Bild sehen. Festhalten kann man: Wer wirklich Bilder interpolieren muss oder möchte, macht dies besser mit dem Rechner. Doch selbst mit der Rechenleistung eines Computers und dem Einsatz von KI kommen selten wirklich bessere Bilder, sondern lediglich größere Dateigrößen heraus.

Somikon ZX 8849 11 4K UHD Digitalkamera

Die Somikon sieht aus wie eine vollwertige Kamera, doch mit unserem Blick in die technischen Daten kann man das Komplettpaket schnell entlarven und erkennt, wie der günstige Preis zustande kommt.

 


DER 4K-VIDEO-TRICK

Ohne Frage: ein 13-Megapixel-Sensor reicht problemlos für echte 4K-Videos mit 3840 x 2160 Pixel aus, denn diese haben rechnerisch ca. 8,3 Megapixel. Passt also alles? Leider nein, denn neben der Auflösung gibt es noch die Bildrate, die angibt wieviel Bilder in der Sekunde gespeichert werden. Hierzulande üblich sind 50p, also 50 Vollbilder in der Sekunde, wobei billige Kameras eben auch mal nur 25 Vollbilder speichern. Die Somikon ZX-8849 speichert aber, wie viele der ganz günstigen Kameras, 30 Bilder in der Sekunde und orientiert sich damit an der in anderen Teilen der Welt übliche NTSC-Norm. Dabei spielt die NTSC (30 respektive 60 Bilder) oder die hier übliche PAL-Norm (25 respektive 50 Bilder) eigentlich nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Bildrate, oft auch als Bildwiederholrate bezeichnet, orientiert sich viel eher an der jeweils vorhandenen Stromnetzfrequenz, die hierzulande bei 50 Hz liegt. Man vermeidet unschönes Bildflackern, wenn man sich mit der Bildrate am Stromnetz orientiert. Spezialisten werden nun dagegenhalten, dass man mit der Belichtungszeit (Shutter) das Flackern ebenfalls verhindern kann und man Videos mit einer Bildrate 30 Bildern bei Social-Media-Plattformen eh besser bedient ist, da diese ruckelfreier (Achtung nicht zu verwechseln mit flackerfreier) abgespielt werden. Beides definitiv richtig, aber es fordert Fachwissen – Einsteigerfreundlicher ist das also nicht.

Fujifilm X M5 1063013

Bei modernen Kameras kann man die Bildrate frei wählen, bei Fujifilm beispielsweise sogar ganz ohne die lästige Normumstellung zwischen PAL und NTSC. Billige Kameras bieten meinst nur die hierzulande unüblichen 30 Bilder oder bestenfalls noch 60 Bilder an.

Der größere Pferdefuß bei der Somikon ZX-8849 ist, wie bei vielen anderen Billig-Kameras, das Dateiformat. Die Kamera speichert Videos im uralten AVI-Format und erzeugt damit vergleichsweise große Dateien, ohne Mehrwert gegenüber dem heute üblichen MP4-Format mit dahinter liegendem H.264 oder gar modernem H.265 Codec. Diese Codecs sorgen für eine effektive Kompression, so dass weniger Daten anfallen, ohne dabei die Qualität merklich zu verringern. Auf den ersten Blick mögen mehr Daten vielleicht nicht stören, doch wenn größere Speicherkarten und mehr Speicherplatz im Rechner nötig werden, geht das ins Geld. So ist am Ende der Preisvorteil der Kamera deutlich kleiner, als es auf den ersten Blick erscheint. Zudem wirbt die Kamera mit einer passenden App und der Option auf Social-Media posten zu können. Das klappt mit AVI-Dateien nicht wirklich und hat zur Folge, dass man die großen AVI-Dateien zum Smartphone transferieren und dort in ein kompatibleres Format konvertieren muss. Das kostet wieder Speicherplatz und Zeit – und einfacher macht es den Vorgang auch nicht. Der Hersteller spart sich im Gegenzug Lizenzkosten für die Nutzung des H.264- oder H.265-Codecs.

GoPro Hero13 Menue 1063043

Moderne Actioncams, und damit ist die Somikon ZX-8849 mit Fixbrennweite durchaus vergleichbar, setzen bei höherer Auflösung auf den H.265 Codec, der selbst bei Auflösungen über 4K für deutlich weniger Daten sorgt als es mit AVI-Dateien in 4K-Auflösung machbar ist.


DER ZOOM-TRICK Wenn man jetzt noch die Angabe „Digitalzoom“ auswertet, dann wird das Ganze noch grotesker, denn im Gegensatz zu einem optischen Zoom, das tatsächlich die Brennweite verändert, wird hier einfach der Ausschnitt auf dem Sensor verändert. Die logische Folge davon: Die Bildauflösung sinkt, da die genutzte Fläche auf dem Sensor mit steigendem Zoom-Faktor immer kleiner wird. Mit Digitalzoom haben die Bilder also nicht die vollen 13-Megapixel, sondern sind erheblich kleiner. Wir gehen davon aus, dass bei dem Einsatz des Digitalzooms auch keine Interpolation mehr genutzt werden kann. Möglich wäre auch, dass der Digitalzoom im 4K-Modus gar nicht möglich ist, sondern nur bei geringeren Auflösungen genutzt werden kann.

Digitalzoom Grafik

In der Grafik zeigen wir, wie groß die genutzte Fläche noch ist, wenn man das 16-fach Digitalzoom anwendet. Dabei nutzen wir hier das 16:9-Format und unterschlagen damit, dass der Sensor höchstwahrscheinlich gar nicht in dieses Format hat, was den genutzten Bereich noch weiter einschränkt.

DER OPTIK-TRICKWie die meisten der günstigen Digitalkameras arbeitet die Somikon ZX-8849 mit einer Festbrennweite, in diesem Fall mit 7,62 mm Brennweite – wobei auf den Bildern die Blende mit 2.4 und die Brennweite mit 5,04 Millimeter angegeben wird. Da man zudem leider zum Sensor nur die Auflösung, aber nicht die Größe der Sensorfläche genannt bekommt fällt es schwer zu beurteilen, welcher Blickwinkel sich daraus ergibt. Wir spekulieren mal und sagen es ist bestenfalls ein leichtes Weitwinkel im 30 Millimeter-Bereich (KB-Äquivalent). Die Blende F2 ist gemessen an einer Festbrennweite nicht besonders lichtstark und dass es sich dann noch um ein Fixfokus handelt, ist dann nicht weiter erstaunlich. Bilder mit der derzeit besonders beliebten Hintergrundunschärfe (Bokeh) bekommt man mit dieser Optik nicht hin. Wir gehen eher davon aus, dass stets alles im Bild scharf ist – auch wenn Pearl als Vertreiber der Somikon ZX-8849 von drei Fokus-Modi spricht: Autofokus, manueller Fokus und Fixfokus. Bei den technischen Voraussetzungen wird der Autofokus allenfalls im Nahbereich etwas tun müssen.

Somikon ZX 8849 01 4K UHD Digitalkamera Lens

Wirklich weitwinklig ist die Festbrennweite der Somikon ZX-8849 nicht, weshalb der Hersteller vollmundig ein Makro-Objektiv mitliefert, was genaugenommen eigentlich eine Vorsatzlinse ist.


DER BILDSTABILISATOR-TRICK

Bildstabilisatoren sind inzwischen allgemein üblich, doch bei System- und Vollformat-Kameras sind diese in der Regel optisch. Hier stabilisiert das Objektiv durch das verschieben von Linsen und somit dem beruhigen des Lichtgangs. Alternativ ist der Sensor schwingend gelagert und wirkt so der Bildunruhe entgegen. Im besten Fall kombinieren die Hersteller beide optische Stabilisatoren und kombinieren das für extreme Fälle noch mit einer digitalen Variante. Dass damit eine eindrucksvolle Stabilisierung möglich ist, zeigt die Panasonic Lumix GH7. Der elektronische Bildstabilisator ist per se also nicht schlecht und beispielsweise bei Actioncams wie der DJI Osmo Action 5 Pro als äußerst effektiv bekannt. Doch zwangsläufig bedeutet dies, dass auch hier nur ein Teilbereich des Sensors genutzt werden kann. Denn die Kamera macht um das Bild einen Sicherheitsbereich, so dass der Bildausschnitt auf dem Sensor verschoben werden kann.

Bildstabilisator Grafik

Im Videomodus hat der Sensor etwas Spielraum, so dass man (zumindest theoretisch) ohne nennenswerten Qualitätsverlust den ausgelesenen Bildbereich verschieben und damit das Bild beruhigen kann.

Wie schon festgehalten: Wer in 4K-Videos aufzeichnet, nutzt per se schon einen kleineren Ausschnitt, so dass sich hier der Bildstabilisator zumindest nicht negativ auswirken sollte. Der Haken: Dann bleibt auch der letzte Rest vom Digitalzoom nicht nutzbar. Wir gehen davon aus, dass sich der Bildstabilisator und Digitalzoom nicht gleichzeitig nutzen lassen. Wahrscheinlich wird das Digitalzoom im Bereich der Videoaufzeichnung nicht wirklich funktionieren. Falls doch, sollte man das aber nicht tun, denn dann bleibt von der Auflösung nicht mehr viel übrig.Hinzu kommt noch: Die Kamera hat zwar ein Display hinten am Gehäuse - doch es gibt keinen "echten" Sucher, sondern lediglich eine Sucherlupe. Diese ist zwar ein Anhaltspunkt was man sieht, doch weder der Beschnitt durch den Bildstabilisator noch durch das Digitalzoom kann man so sehen - denn die Sucherlupe hat einen festen Ausschnitt.

 

KAMERADATEN

Somikon ZX 8849 08 4K UHD Digitalkamera

Hersteller Somikon Modell ZX-8849 Preis 99,99 Euro Objektiv (Preis) fest Internet www.pearl.com DATEN                                              Aufzeichnungsformate UHD (30p), Full-HD (60/30p) Codecs (Dateiformate) AVI Max. Abtastung intern keine Angaben Max. Abstatung keine Angaben Aufnahmemedien 1x SDXC (max 64 GB) Bildwandler/Auflösung keine Angaben/13 Megapixel Objektiv-Bajonett - Zoomfaktor/Brennweite(KB-äquivalent) Festbrennweite/7,62 mm (F2) Gewicht mit Objektiv 260 Gramm AUSSTATTUNG   BildstabilisatorBody/Optik/elektronisch –/–/● Sucher Sucherlupe Display/Diagonale ●/3 Zoll (7,5 cm) Display kippen/drehen/Touchscreen ●/●/k.A. Blende/Shutter/ISOmanuell keine Angaben Weißabgl. manuell/Presets/Kelvin keine Angaben Fokus manuell per/Hilfen keine Angaben Farbe/Kontrast/Schärfeeinstellbar keine Angaben Zeitraffer/Zeitlupe –/– Log/Log-Vorschau/RAW/HDR – LAN/WLAN/Bluetooth –/●/● Datei-Upload/Livestreaming –/● Zubehörschuh standard/intelligent ●/– Digitalausgang – Smartphone-App ● va logo kl 100  

FAZIT

Joachim Sauer VIDEOAKTIV AutorWenn eine Kamera allzu günstig ist und mit hohen Auflösungen wirbt, sollte man dies kritisch hinterfragen. Ein Digitalzoom klingt ganz modern, ist aber, besonders bei hohen Zoom-Faktoren, nahezu immer mit einer Qualitätsminderung verbunden. Später in das Bild reinzoomen kann man aber sowohl in der Foto- wie in der Videobearbeitung. Auflösungen die höher sind als die Sensorauflösung sind ebenfalls Augenwischerei, denn auch dies lässt sich besser auf dem Computer erledigen. Allenfalls der digitale Bildstabilisator ist noch eine Option – zumindest im Videomodus. Dass man keinen Sucher im klassischen Sinn, sondern eine Sucherlupe bekommt kann man angesichts des geringen Nutzens eines Digitalzooms verschmerzen. Der Super-Weinwinkel-Vorsatz als Objektiv zu bezeichnen ist eigentlich falsch – sei es drum, der Adapter hat einen gewissen Nutzen. Für uns der größte Haken ist die fehlende Angabe zur Größe der Sensorfläche. Das lässt darauf schließen, dass dieser eher klein und damit die Lichtempfindlichkeit nur mäßig ist.Deshalb lautet die Empfehlung: Besser nach einer gebrauchten Kompaktkamera schauen – da gibt es mit Gebrauchsspuren zum Beispiel eine Panasonic FZ50 für nahezu den gleichen Preis. Diese hat zwar weniger Megapixel und macht keine 4K-Videos, dafür bekommt man aber ein echtes optisches 18-fach Zoom. Und für 120 Euro geht zum Beispiel die DSLR Kamera Nikon D5100 über die Tresen – dann allerdings ohne Objektiv, wobei man hier reichlich gute F-Bajonett-Objektive zu günstigen Preisen findet. Mit dieser Kamera kann man gute Fotos mit effektiven 16,2 Megapixeln und Full-HD-Video machen.Eine Liste mit Plattformen für Gebrauchtgeräte haben wir hier veröffentlicht.

 

 

Autoren: Joachim Sauer/ Bilder: Panasonic, Joachim Sauer, Jonas Schupp MEDIENBUREAU

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