Ratgeber: Filmer-Mythen - Was stimmt, was stimmt nicht?
4K ist besser als UHD
Stimmt, in der Theorie – obwohl das eher eine Spitzfindigkeit für Besserwisser ist: Wenn man es genau nimmt, bezeichnet 4K (bei Video) eine Auflösung von 4096 mal 2160 Pixeln, UHD alias Ultra High Definition aber hat 3840 mal 2160 Pixel.
Mit UHD-Auflösung arbeiten nun aber alle Consumer-Camcorder, die wir in Heft 06/2015 testen – und was steht auf all diesen Modellen? Nicht UHD, sondern 4K! Für diese Verwirrung ist die Industrie verantwortlich.
Grob kann man sagen: UHD findet sich als Logo vor allem auf Fernsehern, 4K hingegen auf Camcordern, die aber genau genommen „nur" UHDAuflösung liefern. Und wer macht nun „echtes" 4K? Nur manche, aber nicht alle Camcorder aus dem Profibereich und Kameras für Digital-Kino (wo dieses Auflösungsformat eigentlich herkommt) und die eine oder andere Prosumer-Kamera wie die Lumix GH 4 in Heft 06/2015.
Für die meisten Amateurfilmer ist das Ganze in der Praxis aber bedeutungslos: Ihre mit 4K beschrifteten Camcorder liefern nur UHD – und ihre Fernseher können auch nichts anderes wiedergeben.
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Mit AVCHD hat Full-HD angefangen
Das ist falsch, hängt aber auch damit zusammen, wie man Full- HD definiert. Gängige Meinung dazu: ein Pixelverhältnis von 1920 mal 1080. Zuerst aufgetaucht ist der Begriff „Full-HD" aber mit HDV-Camcordern, die über die vorher vorhandene „kleine" HD-Auflösung von 1280 mal 720 Pixeln hinausgingen und Bilder mit 1440 mal 1080 Pixeln lieferten.
HDV machten aber nur Hersteller wie Canon, JVC und Sony; Panasonic startete erst mit dem bandlosen AVCHD-Format ins HD-Zeitalter. Doch entgegen gängiger Meinung bedeutete das längst noch nicht Full-HD mit 1920 mal 1080 Pixeln: Die AVCHD-Erstlinge HDC-DX 1 und SD 1 zeichneten genauso mit anamorphen 1440 mal 1080 Pixeln auf wie die Sony- Konkurrenten SR 1, UX 1 oder CX 6.
Dennoch bezeichneten die Hersteller auch diese Auflösung als „Full-HD 1080", wie das Werbefoto unten beweist. Erst mit dem SD 5 stieg Panasonic (nach JVCs HD 7) auf 1920 um. In der Praxis heißt das: Nicht wundern – ältere AVCHDVideos müssen nicht unbedingt mit 1920 mal 1080 Pixeln aufgenommen sein, und 1440 mal 1080 bedeutet nicht zwangsweise HDV.
Drei Chips sind besser als einer
Das stimmt ... nicht mehr: Über viele Jahre waren Profi-Camcorder mit drei Bildwandlern ausgestattet, anfangs mit Röhren, später CCD- und CMOS-Chips. Ebenso Top-Camcorder aus dem Consumer-Lager.
Insbesondere Panasonic hatte sich immer für „3CCD" stark gemacht. Mit der Einführung von 4K-Auflösungen bei Camcordern ist dieses Engagement aber sang- und klanglos eingestellt worden.
Der Hintergrund: Video wird immer mehr von Foto dominiert. Dort waren ja schon immer höher auflösende Chips (als für Video nötig) im Einsatz – aber immer nur als Single, nie im Dreierpack. Seitdem man für 4K hochauflösende Bildwandler benötigt, ist man auch im Camcorderbau auf die schon vor- handene, weniger aufwendige Single-Chip-Strategie umgestiegen. 3CCD sollte ja vor allem bessere Farbwiedergabe bringen. Die wäre bei 4K aber auch mit höherer Abtastung möglich.


50p ist besser als 25p
Stimmt. Es gibt aber auch Filmer, die lieber auf das von NTSC stammende 30p setzen. Generell bedeuten 50 Vollbilder statt 25 natürlich, dass Bewegungen geschmeidiger wiedergegeben werden. Das gilt für bewegte Objekte im Bild genauso wie für die bewegte Kamera (Schwenks). Im Full-HD-Bereich hat sich 50p längst durchgesetzt.
Dagegen können die meisten 4K-Consumer-Camcorder, aber auch 4K-Fotoapparate nur 25p (alternativ 24p oder 30p), weil die Signalverarbeitung gerade bei kleinen Kameras noch nicht leistungsfähig und schnell genug ist, um die doppelte Anzahl an Vollbildern pro Sekunde zu bewältigen.
Action-Cams sind besser als Camcorder
Stimmt nicht: Nur weil sich trendige Action-Cams zurzeit besser verkaufen als konventionelle Camcorder, müssen sie längst noch nicht besser sein.
Wir behaupten sogar, dass manche Action- Käufer mit einem normalen Modell besser bedient wären. Nicht falsch verstehen: Action-Cams sind toll für alle Filmer, die wirklich rasante Sport- und Freizeit-Action zu dokumentieren haben. Oder als Zweit-/Spezialkamera. Der Familienfilmer hat von einem Camcorder oder einer Film-Fotokamera aber mehr.
Denn Action-Cams setzen zwangsläufig auf ein verzerrtes Weitwinkel-Bild, das für Personen und Motive am Bildrand unvorteilhaft ist. Auch bei Ton und Bedienung schneiden sie oft schlechter ab als Camcorder.


Sony hat den besten Bildstabilisator
Stimmt – zumindest bei Sony- Camcordern mit dem schon berühmten BOSS-Antiwackelsystem (Balanced Optical Steady Shot), das aber so aufwendig und voluminös ist, dass es bei günstigen Modellen, kompakten Action-Cams oder Kameras mit großen Bildsensoren noch nicht eingesetzt werden kann.
Also aufpassen: Sony ist nicht gleich BOSS! Dass der BOSS-Stabilisator das Nonplusultra zur Vermeidung zittriger Bilder ist und sogar das einigermaßen ruhige Filmen im Gehen ermöglicht, haben auch unsere Messungen bewiesen.
Alle Camcorder- Hersteller und auch Foto- Marken wie Olympus sind aber bestrebt, Sony die Krone abzujagen.
Fotokameras filmen besser als Camcorder
Stimmt nicht unbedingt – es hängt sehr davon ab, was man filmen möchte. Als Nikon und Canon, mehr oder weniger als Abfallprodukt, die Filmfunktion in DSLR-Fotokameras einbauten, bekamen Videomacher plötzlich große Vollformat-Bildwandler, die den bis dahin seltsamerweise wenig gefragten Kino-Look per Video ermöglichten.
War es zuvor das große Ziel der Videoentwickler gewesen, Camcorder für immer noch höher aufgelöste, schärfere Bilder zu schaffen, so war das plötzlich konterkariert: Alle Welt wollte lieber noch tollere Unschärfen!
Das war der Beginn des DSLR-Filmer- Booms und führte dazu, dass inzwischen wirklich fast jeder Fotoappparat auch ein bisschen filmen kann. Viele Profis und ambitionierte Filmer sind aber von der reinen DSLR-Filmerei längst wieder abgekommen und entscheiden sich inzwischen vermehrt für Camcorder oder Filmkameras, die beides vereinen: größere Sensoren und videotypische Bedienung/ Ausstattung.
Im News- und Dokumentarbereich ist der Camcorder immer noch gefragt.

Handy ersetzt die Camcorder-Fernbedienung
Leider nicht ... Das war zwar die Meinung mancher praxisfremden Kameraentwickler, und es ist sicherlich schick, seinen Camcorder per Handy zu dirigieren. Das lief in der Anfangszeit aber schon rein technisch oft nicht stabil und ist umständlich bis unmöglich, wenn man mit mehreren Kameras arbeitet.
Noch weniger hilft die Handy- Steuerung aber, wenn der Filmer über die früher obligatorischen Steuer-buchsen ein Stativ oder UW-Gehäuse dirigieren wollte.
Alles in allem gibt es immer noch eine Berechtigung für alle Steuerarten – Handy wie Kabel: Die dritte, eine Infrarot-Fernbedienung, brachte früher jeder billige Einsteigercamcorder mit. Wieso heute nicht mehr?


Das Display ersetzt den Kamera-Sucher
Sicher nicht. Zwar gibt es immer wieder Filmer, die den elektronischen Sucher in Zeiten großer Touch-Displays für entbehrlich oder gar altmodisch halten (anders als Fotografen übrigens). Wer aber jemals versucht hat, in praller Sonne ein kontrastarmes Motiv zu fokussieren, der wird wissen: Das geht nicht gut!
Umso seltsamer ist es deshalb, dass auch die wenigen verbliebenen Camcorderhersteller bei ihren Modellen bis fast hinauf in die Top-Klasse den Sucher abgeschafft haben (erst ab 1000 Euro eingebaut!), während viele Film-Fotokameras schon für 500 Euro oder weniger diesen Komfort bieten – mit Sucher und Display (siehe links). Schaufelt hier jemand sein eigenes Grab?
Stereo-Ton ist besser als Mono
Weder noch. Wir predigen ja schon immer, dass ein Filmer beide Arten von Mikrofonen für beide Varianten von Ton benötigt: Sprache, Interviews, Kommentare werden auch im Profibereich nur mit Mono- Richtmikros oder ebenfalls einkanaligen Lavaliers aufgenommen.
Für Atmos, Geräusche und natürlich Musik ist Stereo Pflicht, denn das alles ertönt ja auch in der Realität meist als Stereo- Erlebnis. Der finale Ton eines gesamten Films wird selbstverständlich immer in Stereo gemischt.


Surround ist besser als Stereo
Eher nicht. Zumindest hat sich der 5.1-Dolby-Surroundton im Camcorder (wiewohl hie und da noch eingebaut) genauso wenig durchgesetzt wie die 3D-Funktion im Bild.
Was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass fünf sehr nah zusammengebaute Mikrofonkapseln (Bild links) in einem winzigen Camcordergehäuse auch keinen gewaltigen Raumeindruck vermitteln können. Zudem ist die Nachbearbeitung schwieriger.
Mit dem Aufkommen von YouTube und winzigen Mono- Lautsprechern in Smartphones scheint das Thema ohnehin gegessen.
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