Praxisreport: YouTube-Videos produzieren
Die neue Medienvielfalt ist eine Bereicherung – zugleich aber auch der Fluch der Medienbranche. Die Anforderungen an die Macher wachsen: Passgenau sollen die Inhalte für verschiedene Veröffentlichungsformen aufbereitet und natürlich schnellstens veröffentlicht werden. Das klingt für Außenstehende spannend, aber auch nach Hektik – und beides stimmt, auch wenn ich mich im Laufe der vergangenen zehn Jahre (so lange betreue ich schon parallel zum Magazin das VIDEOAKTIV-Portal) eigentlich schon an die Spannung zwischen Print und Online gewöhnt habe.
Nicht jeder Kollege fand die Online- Strategie des Verlags gut, auch wenn die Notwendigkeit, auf vielen Kanälen präsent sein zu müssen, jedem einleuchtet. Denn im Arbeitsalltag ist es vor allem eines: unbequem! Als ich gar vor zwei Jahren meinte, dass wir künftig mehr Videos produzieren und den (bislang nur sporadisch mit Videos versehenen) YouTube-Kanal mit Leben füllen müssten, war auch klar: Wer sich so weit aus dem Fenster lehnt, soll erstmal selbst tätig werden.
„Für euch kann das ja nicht so schwer sein, schließlich seid ihr vom Fach!" Das habe ich häufig gehört. Im Prinzip stimmt das auch, doch alle Theorie ist grau. Das fängt schon mit der Frage an: Wo und wann entstehen die Videos? So experimentierten wir anfangs mit einer Greenscreen-Wand, doch die grünen Reflektionen auf den Geräten störten, und der Aufwand in der Nachbearbeitung, den Hintergrund einzusetzen, war zu hoch. Heute entstehen die Videos entweder direkt am Arbeitsplatz oder beim Dreh der Testaufnahmen in der freien Natur.
Qual der WahlMein Vorteil ist: Wenn ich teste, entstehen häufig schon Videos ganz nebenbei, liefern Camcorder, Fotokameras und Action-Cams schon verwertbare Clips. Aber bloße Tests von Kameras reichen nicht aus, den Kanal zu füllen. Also sind in der Zwischenzeit Videos von Messen, von Videomischern und Schnittsoftware entstanden.
Und auch Testsequenzen von Kameras allein ergeben keinen Film. Man muss immer auch das Produkt vorstellen, um das es im Video geht – was relativ einfach ist, wenn man das Produkt gerade testet. Schwieriger ist es, ein brandneues Produkt in einer knapp bemessenen Zeit vorzustellen und vielleicht sogar erste Testergebnisse zu liefern. Im vorigen Frühjahr etwa ist auf der Sony- Hausmesse in München ein erster Test zur Sony Alpha 6000 entstanden.


Statt wie bisher mit Stift, Block und Fotokamera anzureisen, heißt es jetzt, das nötige Equipment für den Dreh mitzunehmen. Da ich, wo es geht, mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin, bedeutet das eingeschränkten Spielraum beim Gewicht. Neben der Fotokamera, die wegen der Bilder fürs Heft und Online unerlässlich ist, auch einen Camcorder mitzuschleppen, schließt sich aus. Mit dem Entschluss, YouTube stärker zu befüllen, fiel deshalb vor mehr als zwei Jahren die Kaufentscheidung auf eine Alpha 77, eine der ersten Fotokameras, die AVCHD aufzeichnet.
Wichtig war mir dabei die Möglichkeit, die Schärfe klar auf das Objekt legen zu können, während alles andere eher in der Unschärfe verschwimmen soll. Das sieht nicht nur eleganter aus, sondern macht mich von der Aufnahmeumgebung unabhängiger. Problem dabei: Die Schärfentiefe ist somit zwangsläufig begrenzt, was immer dann schwierig ist, wenn ich gleichzeitig Kamera- und Tonmann, Moderator und Regisseur in einer Person sein muss. Man kann schlecht als Motiv in einigem Abstand vor der Kamera stehen und gleichzeitig am Fokusring des Objektivs drehen.
Da sind oft einige Versuche nötig, bis die Schärfe stimmt, denn der Autofokus (eine Schwäche der Alpha 77) ist nicht besonders zuverlässig und agiert zu nervös. Anfangs habe ich viel mit dem praktischen, für Selfies drehbaren A77-Monitor gearbeitet. Doch damit war der Aufwand für die passende Schärfe zu hoch. Also setze ich inzwischen Sonys CLM-V 55 ein: Zwar nicht der beste Fieldmonitor, aber (damals) recht preisgünstig, auch wenn es inzwischen sogar erschwingliche höher auflösende Fieldmonitore gibt.
Hauptvorteil des Sonys: Ich bekomme ein Peaking für die Schärfebeurteilung und kann via 1:1-Vorschau noch mal kontrollieren, ob auch alles passt. Dennoch: leichter ist es mit Assistentinnen. Meine Frau und Töchter sind inzwischen versierte Kamerafrauen mit einem Blick für die Schärfe – und gleichzeitig entdecken sie Widersprüche oder Haspler in meiner Moderation, die mir sonst oft erst beim Schnitt auffallen und deren Lösung mich schon die eine oder andere Stunde gekostet hat.
Schon aus Sicherheitsgründen reisen meist eine kleine Action-Cam und Montagematerial wie das Cullmann Studio Flexx Set mit. Doch gerade bei den Stativen bin ich bisher noch nicht glücklich: Entweder ist das Stativ sehr stabil – dann aber zu schwer und groß für den Transport. Oder es wird meinen Ansprüchen nicht gerecht. Die eigentlich gut geeigneten Einbeinstative aus dem Test in Ausgabe 5/2014 habe ich alle in der Praxis eingesetzt. Vor allem der Testsieger Manfrotto MVM 500 A ist perfekt, solange ich mich in der Umgebung oder auf Messen bewege.
Aber im Zug oder Fernbus werden die klassischen Einbeinstative wegen ihrer Transportlänge zum Problem und verursachen regelmäßig Diskussionen. Im Flieger kann man sie nur im aufgegebenen Gepäck mitnehmen – was zusätzliche Wartezeiten mit sich bringt, bei Kurztrips also nicht in Frage kommt. Als leicht und extrem flexibel einsetzbar hat sich der Joby Gorillapod erwiesen – er lässt sich sowohl für Action-Cams als auch für SLR-Zoom verwenden und klammert auch mal am Geländer oder einer Sitzbank.
Auch als Mikrofonstativ verwende ich oft den „Klammeraffen", denn mit dem Mikro in der Hand fühle ich mich zu angebunden. Alternativ gibt es auch ein Funkmikrofon, das aber wegen der Akkus und des höheren Gewichts oft im Büro bleibt. Stattdessen ist immer das MicW i825 im Gepäck, das dann mein iPhone speist – auch wenn ich dann den getrennt aufgezeichneten Ton wieder mit dem Video synchronisieren muss.
Konzeptfragen
Nicht nur in der Medienbranche ist der Zeitaufwand der Knackpunkt. Denn einmal ein ausgefeiltes gutes Video zu erstellen ist eine schöne Aufgabe und auch durchaus machbar. Doch jede Woche einen Beitrag von Grund auf produzieren zu müssen, ist eine völlig andere Sache. Entsprechend effizient muss nicht nur der Dreh sein (oft genug als One-Man- Show), sondern auch der Schnitt. Das wiederum bedeutet: Hellwach sein beim Dreh und stets auf passende Anschlüsse achten!
Schwierig wird das immer dann, wenn man dabei keine Ruhe hat – gerade wenn einem (wie neulich in der Allianz- Arena beim Dreh zur Sony Alpha 6000) gleich mehrere Kollegen zusehen. Der Trick heißt einfach Übung. Benötigte ich anfangs meist mehrere Versuche, um eine Moderation einzusprechen, ist die inzwischen meist schon beim ersten Mal im Kasten. Mache ich einen Fehler oder merke ich, dass ich unsicher wurde (dann kommen unweigerlich zu viele „Ähs"), stoppe ich die Aufnahme und schaue sie mir nochmal an, um zu sehen, bis wohin sie verwendbar ist.





Dann heißt es neue Perspektive suchen, Kamera positionieren und mit einem passenden Anschlusssatz weitermachen. Um im Schnitt auf Nummer sicher zu gehen, produziere ich viele Takes von der Kamera – ganz besonders von den Tasten und vom Bedienmenü, denn das lässt sich perfekt zwischenschneiden, und zur Not kann man dann so auch mal ein lästiges „Äh" aus der Moderation tilgen, ohne dass es der Zuschauer merkt.
Nach dem Dreh
Apropos schneiden: Anfangs wollte ich die Videos jede Woche auf einem anderen Schnittprogramm produzieren, um so Praxiserkenntnisse fürs Testen zu bekommen. Das hat sich schnell als unrealistisch erwiesen: Der Aufwand für einheitliche Titel, ähnliche Effekte und die passend korrigierten Videos ist schlicht zu hoch.
Da die Filme in erster Linie für die Videoplattformen und zum Einbinden in VIDEOAKTIV.tv entstehen, gab die Titel-Machart den Ausschlag fürs entsprechende Programm: Die Grafiken für unser zweimal in der Woche mit Artikeln befülltes „Praxis+Technik“ entstehen mit Photoshop – jetzt werden sie, nachdem die Grafiken auf der Webseite ins 16:9-Format umgestellt wurden, auch fürs Video verwendet.
Und weil Premiere Pro die Photoshop-Dateien inklusive Ebenen importieren kann, lassen sie sich recht einfach animieren. Der Videoschnitt unserer in der Regel 10 bis 15 Minuten langen Beiträge mit Premiere Pro passiert meist auf meinem Notebook.
Allerdings haben ich via USB 3.0 eine SSD-Festplatte angedockt. Das hat zum einen den Vorteil, dass ich Projekte schneller austauschen und an unterschiedlichen Rechnern bearbeiten kann, zum anderen sprenge ich so nicht den eh schon knappen internen Speicher. Der Schnitt klappt flüssig, solange man auf ganz aufwändige Effekte verzichtet – doch eben das ist auch der Trick, wenn man ein solches Projekt innerhalb von zwei bis drei Stunden geschnitten haben möchte: Außer der Titelanimation gibt es noch weiche Blenden, ansonsten wird hart geschnitten.
Etwas mehr Aufwand treibe ich bei der Bildkorrektur – allerdings erst dann, wenn ich das Projekt komplett geschnitten und vertont habe. Oft passe ich mit der Gammakorrektur noch das Bild an – und hier macht sich die neue Maske in Premiere Pro CC positiv bemerkbar, denn jetzt kann ich auch mal eine etwas zu dunkle Kamera korrigieren.
Muss noch ein Kommentar eingesprochen werden, erfolgt das mit der Voice-over-Funktion – wobei ich genau hier gerade massive Probleme hatte, als ich unterwegs war: Treiberprobleme hatten meinen Audioeingang außer Betrieb gesetzt – am Arbeitsplatz habe ich es da durch ein Audio-Interface (Focusrite Scarlett) leichter. Gleich nach der Fertigstellung werden die Projekte berechnet und dann komplett ins Netzwerk auf ein NAS-Laufwerk mit RAIDSystem gesichert.
Nach einem Jahr liegen dort gut sortiert zwei Terabyte an Daten. Zugegeben: Hundertprozentige Sicherheit bringt das nicht (siehe Artikel Videoarchivierung: videoaktiv.tv/11551), doch genau genommen benötige ich die Projektdaten maximal ein halbes Jahr – und auch nur, wenn ich noch mal Teile einer Moderation oder Titel wieder gebrauchen kann; was selten vorkommt. In der Regel ist, schon wegen der Aktualität, jedes Filmprojekt einmalig.
Zahlen und Zukunft
Über eine Million Views (Videowiedergaben) insgesamt und bis zu 35 000 Videoaufrufe in 28 Tagen sowie knapp 2500 Abonnenten (und somit gute 1800 neue Abonnenten in einem Jahr) – das Ergebnis ist nicht schlecht. Ernüchterung kommt auf, das muss ich zugeben, wenn ich die „Brotkrumen" sehe, die Google für die Werbeschaltungen überweist: knapp 900 US-Dollar (rund 700 Euro) haben die alten und knapp 60 neuen Videos in einem Jahr eingespielt.
Das reicht noch nicht mal, um die Investitionen ins Equipment zu rechtfertigen – und den Stundenlohn darf ich mir gar nicht erst ausrechnen. Um den Kanal ansatzweise kostendeckend zu betreiben, müsste man also gut die 20-fachen Einnahmen haben. Das klingt noch nach reichlich Aufbauarbeit – oder noch längerer Selbstausbeutung.
Natürlich hoffen (oder träumen) wir davon, in kürzerer Zeit mehr Anhänger zu finden, doch mit technischen, klar auf eine überschaubare Zielgruppe ausgerichteten Videos kann man keine „Megazahlen" mit mehreren tausend Videoaufrufen in der Woche erwarten – das schaffen nur englischsprachige Videos mit deutlich sarkastischer Anmutung. Nüchtern gesehen, werden wir mit diesem Konzept also in absehbarer Zeit keine finanziell tragfähigen Zahlen erreichen.



Und würden wir unseren YouTube-Kanal rein wirtschaftlich betrachten (nach einem Jahr, und wahrscheinlich auch nach zwei oder drei Jahren), würde das die Beendigung des Experiments nahelegen. Warum also mache ich es weiter? Einfach weil ich überzeugt bin, dass VIDEOAKTIV auf Dauer von einem Videokanal profitiert und man so neue Zielgruppen erreichen kann. Natürlich hoffe ich auch darauf, Sie als Leser unseres Hefts vom Mehrwert unseres Portals überzeugen zu können. Die Videos bereichern das Portal und ergänzen unsere Tests.
Entsprechend leiten sie aber auch zum Artikel hin. Auf gut Deutsch: Es geht um die Vernetzung aller Medien – und nicht allein um hohe Abonnenten-Zahlen und Likes im YouTube-Kanal. Dass man mit „Blödel-Videos" mehr Aufmerksamkeit erzeugen kann, war uns schon vorher klar. Ebenso klar ist: Steckt man mehr Zeit in die Videos, dann werden diese besser – und es lassen sich leichter mehr Abonnenten gewinnen.
Aber der Haken daran ist: Das ist nicht zu leisten. Meine Zielvorgabe, mit vertretbaren Aufwand einen YouTube-Kanal zu betreiben, betrachte ich als gelungen. Das nächste Ziel entspricht dem alten: bessere Videos und mehr Abonnenten!
Fazit
YouTube hat genauso wie Google das Verhalten gerade junger Verbraucher verändert. Das muss man zur Kenntnis nehmen und bei der Markenpflege berücksichtigen. Genau diese Zielgruppe ist weit unkritischer und akzeptiert Videos, die vielleicht nicht ganz perfekt produziert sind – dafür aber die Inhalte richtig transportieren. Um die Social-Media-Plattformen und explizit YouTube kommt man in der Unternehmenskommunikation nicht herum – zumindest dann nicht, wenn man ein Unternehmen oder Produkte auf Dauer an den Kunden bringen will. Wer Budget hat, sollte hier investieren. Wer keines hat, muss dennoch etwas tun – und das ist (zugegeben: mit etwas Übung und hie und da auch Qualitätsabstrichen) durchaus zu leisten.
Weitere Artikel zum Thema Intern:
Praxis-Report: So filmt das Rote Kreuz Praxisreport: Musikunterricht per Video CES 2015: Newsportfolio - alle Kamera-Neuheiten