Amateur-Film-Praxis: fortgeschrittener Videoschnitt
Umschnitt
Der Umschnitt ist ein weiteres Stilmittel. Ein Klassiker in diesem Bereich der Schnitttechnik ist diese Szenenabfolge: Man sieht fröhliche Kinderaugen, denen im Anschluss Bilder eines Weihnachtsmannes folgen – der Zuschauer sieht also, was das Kind sieht.
Die der natürlichen Wahrnehmung am nächsten kommende ist die Schnittabfolge gemäß der Five Shot Coverage, wie sie zum Beispiel Videojournalisten anwenden. Hier eine Zusammenfassung mit einem Alltagsbeispiel im Supermarkt:
Einstellung 1: Um was geht es? Die Kassiererin scannt Waren an der Kasse. Mit dieser typischen Nahaufnahme lenken wir den Blick auf die Situation.
Einstellung 2: Wer ist beteiligt? Ein Blick geht auf das Kassenpersonal. Die zuvor gefilmte Situation wird mit einem Schwenk zum Beispiel auf das Gesicht personalisiert.
Einstellung 3: Wo findet die Handlung statt? Diese Einstellung könnte das Umfeld des Kassenbereichs zeigen.
Einstellung 4: Was ist der Grund für die Handlung? Eine Aufnahme des Kunden zeigt den Bezug von dargestellten Personen und der Handlungsschnitt.
Einstellung 5: Was ist das Ziel oder das Ergebnis der Handlung? Die Auflösung de Szene zeigt zum Beispiel einen überfüllten Einkaufswagen.
Wichtig bei der Szenenabfolge ist die Auflösung der filmerischen Geschichte. Das ist nicht immer einfach – aber jeder Spannungsbogen sollte in einer Auflösung enden.


Hier wieder am Supermarkt-Beispiel: Der überfüllte Einkaufswagen beendet den Einkauf - und damit die Szenenabfolge.
Das Schöne dabei ist, dass nicht alles an einem Stück gefilmt werden muss. Das Scannen der Ware ist eine Sache, das Portrait der Kassiererin eine Andere. Der Einkaufswagen kann ohne Weiteres auch einen Tag später gefilmt werden.
Es wird sicher nicht immer jede Einstellung gebraucht oder der potenzielle Zuschauer merkt auch nicht bei jeder vom Filmemacher angedachten aber nicht gedrehten Szene, dass diese fehlt - der Film wird allerdings durch einen runden Abschluss bzw. eben die Auflösung lebendiger und erzählt sich durch den Schnitt selber.
Bei diesen Details zeigt sich der Könner, der Geschichtenerzähler. Um sein eigenes Auge für diese Art des Erzählens zu schulen, eignen sich Fernseh- und Kinowerbespots recht gut. In wenigen Sekunden wird eine ganze Geschichte erzählt - oft mit Überraschungen und Witz verbunden - auch manchmal mit der Frage: Wofür wird hier eigentlich geworben?
Arbeitet man nach der Maxime, einen Spannungsbogen aufbauen zu wollen und diesen auch während des gesamten Films zu halten, ergibt sich dadurch ein grobes, natürlich auch variables Zeitraster.
Ein Film darf gerne 90 Minuten dauern, aber die Sinnabschnitte die zu einem Abschnittshöhepunkt führen, sollten nicht länger als 90 Sekunden dauern. Die einzelnen Szenen darin zwischen vier und zehn Sekunden.
Am Beispiel eines Reisefilms und der ihn damit einleitenden Flughafenszene könnte diese Aufteilung und die Bildabfolge so aussehen: Aufnhame des Flughafens, dann des Flugzeugs. Von dort geht es in eine Innenaufnahme, gefolgt von einem Blick aus Fenster. Beendet wird der Sinnabschnitt mit der Landung und einer Aufnahme des Zielflughafens. Dies wären insgesamt circa 60 Sekunden Gesamtlänge, wenn jeweils zehn Sekunden pro Einzelszene angesetzt werden.
Sollten speziell bei diesem Thema im Handlungsverlauf keine weiteren „Besonderheiten" eingebaut sein, ist eine Kürzung auf eine Gesamtlänge von circa 35 Sekunden kein Fehler. Hier muss man einfach abwägen, ob der Zuschauer über die ganzen 60 Sekunden „bei Laune gehalten" werden kann oder ob der Inhalt nicht auch schon in einem kürzeren Zeitrahmen transportierbar ist.
Das Schnittmuster lässt sich auch auf andere, schon vorher genannte Beispiele wie Kindergeburtstage oder Hochzeiten anwenden. Selbst bei schon angesprochenen Konzertaufnahmen ist dies möglich. Die Handlung ist zwar durch den Veranstaltungsverlauf vorgegeben und der Schnitt sorgt für Abwechslung im Bild, trotzdem lässt sich auch hier ein „filmerisches" Schnittmuster anwenden:
Zu Beginn werden einige Szenen von der Kasse und dem Bühnenaufbau gezeigt. Die sich füllenden Sitzreihen starten daraufhin einen langsamen Anfang und zum Ende hin beim Applaus kann eine lange Einstellung in den Abspann führen.


Konzertmitschnitt, Aufführungen
Ein einfacheres schneiden ist nach einer Aufführung, einem Konzert zu erwarten. Voraussetzung ist allerdings die klare Absprache der Kameraleute. Bei einer fixierten Kamera ist die „Absprache" quasi zu vernachlässigen - sie nimmt immer die Totale auf.
Bei der Nachbearbeitung wird sämtliches Bildmaterial in die Timeline importiert und Unnötiges wie zum Beispiel die Pausen zwischen zwei Musikstücken oder kleine Umbaupausen herausgeschnitten.
Damit aber an den Übergängen der einzelnen Takes keine unsauberen Lücken oder „Sprünge" auftreten, werden hier sogenannte Lückenpflaster gebraucht. Hierfür kann man Szenen aus Zuschaueraufnahmen vewenden oder eine vollflächige Grafik kündigt das nächste Musikstück an.Wurde mit zwei Kameras gefilmt, kann die Lücke mit einem Wechsel von der einen zur anderen Kamera überspielt werden.
Haben zwei Kameras während der Aufführung Verwendung gefunden, und wurde nur eine Tonspur (zum Beispiel von einer externen Aufnahmequelle) verwendet, muss die Synchronität zwischen den Video- und Audiospuren sichergestellt sein. Ist vor dem Aufnahmestart keine Filmklappe benutzt worden müssen andere Hilfsmittel her.
Eine Person zum Beispiel, die auf die Bühne tritt. Filmten alle Kameres diesen Moment, ist das erste Hilfsmittel gefunden. Die Videos werden so auf der Timeline verschoben, dass das Ereignis bei beiden recht genau übereinstimmt. Da bei dieser Vorgehensweise immer eine Videospur von der anderen verdeckt wird und deshalb nur diese in der Bildvorschau zu sehen ist, kann man sich eines kleinen Tricks bedienen.
Dafür werden beide Videos auf halbe Breite reduziert, um sie im Vorschaufenster- oder Monitor nebeneinander betrachten zu können.
Als kleines Hilfsmittel sei an dieser Stelle noch die Markerfunktion der Schnittprogramme genannt. Der Marker wird genau an die Stelle des betreffenden Bildereignisses gelegt, damit auch ein bleibender visueller Bezugspunkt zum Synchronisieren gegeben und eine spätere Orientierung im Videoprojekt besser gelingt.
Damit ist auch dieser Clip gekennzeichnet und die Schnittstelle braucht nur unter den Projektmarker geschoben zu werden. Sollte trotz grober manueller Synchronisierung die Tonspur aufgrund von enthaltenden Hall- oder Echoanteilen nicht 100%ig stimmen, verwendet man am besten die sogenannte Wellenformdarstellung der Schnittprogramme, um eine endgültige Ausrichtung zu erzielen.
Zeichnete eine zweite Kamera nicht durchgängig auf, muss dieses Prozedere entsprechend wiederholt werden.
Im ersten Rohschnitt wird von jeder Kameraspur verwackeltes oder „verzoomtes" Material beseitigt.
Damit ist fast automatisch vorgegeben, wann welche Spur auf der Timeline verwendet werden kann. Gibt es Stellen an das Bild beider Kameras nicht brauchbar ist, werden wieder „Lückenplaster" benötigt.
Auf diese Weise wird nach und nach aus dem Rohschnitt der Feinschnitt. Die Übergänge zwischen den Stücken/Szenen/Akten sind stimmig und lassen alles harmonisch erscheinen.


Szenenwechsel
Bei Filmen im Kino oder im Fernsehen ist der typische Wechsel von der einen zur nächsten Szene der harte Schnitt. Aber auch Überblendungen gibt es zu sehen. Die Kreuzblende zum Beispiel. Sanfte Übergänge zweier Bildeinstellungen werden realisiert. Aber Vorsicht. Auch für Blenden gelten bestimmte ungeschriebene Gesetze. Wird eine statische Szene mit einer bewegten überblendet, kann dies für den Zuschauer zu aprupt wirken.
Noch kritischer wird es bei Szenen, in denen gegenläufige Bildbewegungen folgen. Am besten wirkt eine Kreuzblende, wenn beide Szenen am Anfang und Ende ohne Kamerabewegung versehen sind. Damit kann unter anderem auch eine (zu) lange Einstellung gekürzt werden, ohne das der Eindruck eines zu aprupten Schnitts aufkommt.
Für eine Art Szenenwechsel sorgen auch Bilder und Einstellungen, die symbolhaften Charakter haben. Diese lockern den Film auf und verhelfen auf relativ leichte Weise zu Abwechslung.
Der Vorgang des Fahrradfahrens wird zum Beispiel interessanter dargestellt, wenn statt langen Aufnahmen des Protagonisten mit immer gleichem Inhalt eine kurze Einstellung des Tretlagers und darauf folgend eine Aufnahme des Fahrradlenkers zu sehen sind.
Damit kommt auch wieder die 5-Punktregel ein wenig zum Tragen, ob am Ende eben genau der Schnitt mit den Bilderwechseln das „Tüpfelchen auf dem i" ausmacht - kleine Details erzählen die Geschichte. Hier noch ein praktisches Beispiel:
Wenn der Standesbeamte spricht und dessen Rede nicht gekürzt wird: Während der Rede Bilder einfliegen lassen, wie sich das Brautpaar kennengelernt hat.
Mit der Schwarzblende wird erst komplett aus- und dann wieder eingeblendet. Damit wird gerne ein Zeit- oder Ortssprung dargestellt. Alternativ lässt sich dieses Stilmittel in allen anderen Farben darstellen.
Im Gegensatz zur, in der Regel in jedem Schnittprogramm einprogrammierten Schwarzblende, muss in manchen einfacheren Programmen für die weiße oder farbige Variante eine entsprechende Farbfläche in die Timeline der Schnittsoftware geholt und mit zwei Kreuzblenden dann final erstellt werden.
Den Einsatz anderer, insbesondere aufwendig animierter Blenden sollte man jedoch stets kritisch hinterfragen, da diese oft zu aufgetragen wirken und dem Erzählfluss im Video nicht immer weiterhelfen, sondern oft sogar diesen behindern.
Blenden bzw. Übergänge können wie Schriften eingeteilt werden in „Hauptüberschriften" oder in „Absatzüberschriften".


Das soll heißen: Innerhalb eines Bereiches sollten Blenden gleich gewählt sein, wie zum Beispiel weiche Kreuzblende oder ein harter Schnitt ohne Blende.
Der Wechsel zum nächsten Abschnitt oder Kapitel darf dann deutlicher zu sehen sein – ob Jalousie-Effekt oder ein animierter, sich drehender Würfel. Genauso kann auch in manchen Fällen einmal keine Blende zum Einsatz kommen.
Fazit:
Mit der richtigen Schnitt-Art zum richtigen Schnitt-Zeitpunkt schafft es der (Amateur-)Filmemacher, seine Zuschauer "bei Laune zu halten". Wichtig dafür ist allerdings das Gespür, wenn der Rhythmus des Films einen Schnitt verträgt oder sogar erfordert. Hierbei gilt: Die Übung macht den Meister!
Dies war der neunte Teil unseres Weihnachts-Spezials zum Thema "Tipps aus der Amateurfilmer-Praxis". Die folgenen Tage präsentieren wir weitere Kapitel zu diesem Thema. Teil 1: Planung Teil 2: die richtige Kamera Teil 3: Stative aller Art Teil 4: Ton und Licht Teil 5: Bildgestaltung Teil 6: Perspektiven und Bildausschnitte Teil 7: Automatik- gegen manueller Modus Teil 8: Schnittgrundlagen Teil 9: Schnittpraxis Teil 10: Filmdesign- und Präsentation (Walter Buddelmann/mad)