Praxistest: Supertele-Objektiv Sigma 60 - 600 Millimeter
IM TEST:Sigma 60-600 F4.5-6.3 DG DN OS, 2349 Euro
Gäbe es so etwas wie die Zehn Gebote der Filmbranche, eines von ihnen würde lauten: „Du sollst nicht mit Tieren drehen!“ Der Grund dahinter ist schnell erklärt: Begriffe wie Regieanweisungen, Drehbuch oder Storyboard sind der Tierwelt völlig fremd. Auch halten vor allem Wildtiere lieber ausreichend Sicherheitsabstand zu potenziellen Gefahren – und damit auch zu Menschen und deren Kameras. Wer also, beispielsweise für eine Dokumentation, Wildtiere prominent im Bild platzieren möchte, braucht sehr lange Brennweiten. Teleobjektive jenseits der 200mm sind hier keine Seltenheit. Diese Objektive sind nicht nur groß, sondern auch schwer. Zudem handelt es sich bei ihnen oft um Festbrennweiten und selbst Zoomoptiken decken nur einen relativ kleinen Telebereich ab. Will man also flexibel sein, müssen gleich mehrere Objektive mit auf den Dreh genommen werden, was automatisch auch mehr Gewicht bedeutet. Bis jetzt, denn Sigma bringt mit dem neuen 60-600 F4.5-6.3 DG DN OS ein Objektiv auf den Markt, das von nahezu Normal bis weit in den Supertelebereich einen großen Brennweitenbereich abdeckt und mit 2349 Euro auch noch vergleichsweise günstig ist. Die Optik ist, so Sigma, zwar in erster Linie für Fotografen gedacht, soll aber auch Videographen glücklich machen. Auf dem Papier klingt das Sigma nach der „immer dabei“-Lösung für Aufnahmen in der Natur, aber kann es diese hohen Erwartungen auch in der Praxis erfüllen?
Jonas Schupp war mit dem brandneuen Sigma-Supertele unterwegs und hat damit in erster Linie gefilmt. Wie gut die Aufnahmen geworden sind und was man als Filmer beachten muss, erfährt man hier.
AUFBAU UND DESIGN
Geliefert wird das Sigma 60-600 Millimeter in einer gut gepolsterten Transporttasche, in der die Optik leicht versetzt sitzt. Einmal ausgepackt, lassen Gewicht und Maße jede Kamera zur Nebensache verkommen. Satte 2,78 Kilogramm wiegt das Sigma bei einer Länge von 28,5 Zentimetern bei 60 Millimetern und 37,6 Zentimetern bei 600 Millimetern Brennweite – mit Gegenlichtblende noch einmal achteinhalb Zentimeter mehr.

Das Objektiv wird in einer gut gepolsterten Tasche geliefert. Allerdings muss die Optik in ihr leicht versetzt platziert werden, da die Aussparung im oberen Polster nur einseitig ist.
BEDIENUNG
Über einen Schieberegler an der Seite lässt sich die zweistufige Stabilisierung aktivieren. Dazu gesellen sich Umschalter für Auto- beziehungsweise manuellen Fokus und den Fokusbereich, wahlweise von der Naheinstellgrenze von 40-260 Zentimetern (abhängig von der Brennweite) bis sechs Metern, von sechs Metern bis unendlich oder den gesamten Bildbereich. Zwischen Fokus- und Zoomring hat Sigma drei Tasten platziert, die sich mit jeweils zwei Funktionen belegen lassen. Zwischen den Funktionen umgeschaltet wird über einen separaten Schieberegler, der das oben beschriebene Schalterlayout nach unten abrundet.

Die „Schaltzentrale“ des Objektivs. Zusätzlich zu den beschrifteten Reglern hat das Sigma drei frei belegbare Tasten, die seitlich, oben und unten zwischen Fokus- und Zoomring platziert wurden.
Klassischerweise erfolgt bei einer Optik dieser Größe die Stativmontage über das Objektiv, die Kamera hängt damit quasi als „Beipack“ am Objektiv-Bajonett. Das beugt Beschädigungen beim Objektivanschluss vor und ist beim Sigma dank der massiv ausgeführten Montagemöglichkeit auch problemlos möglich. Probleme treten allerdings auf, soll ein ND-Filter eingesetzt werden. Mit 105mm Durchmesser ist das Filtergewinde weit entfernt von den Standardmaßen. Vor allem wenn die verwendete Kamera eine hohe native ISO-Empfindlichkeit hat, wie das bei der im Test verwendeten Panasonic S5 Mark II mit ISO 640 der Fall ist, ist bei Sonnenschein ein Filter Pflicht – trotz relativ hoher Offenblende.

Größe und Durchmesser des Objektivs bedingen ein entsprechend großes Filtergewinde. Mit 105 Millimetern liegt das Filtergewinde weit über standardmäßigen Filterdurchmessern.
PRAXISMit Foto-Objektiven filmen ist heutzutage ohne Probleme möglich, wenn man einige Eigenheiten berücksichtigt. Eine davon trägt das Sigma schon im Namen: Mit 4.5-6.3 ist die Anfangsblende nicht für alle Brennweiten gleich. Lange Zoomfahrten sind so nicht möglich, auf weil die Optik nicht parfokal ist, sprich Objekte im Fokus bleiben bei Veränderung der Brennweite nicht scharf. Dagegen hilft ein guter Autofokus, denn manuell fokussieren ist bei den abrupten Bewegungen der Wildtiere oft nicht möglich. Die zweistufige Bildstabilisierung ist eine sinnvolle Addition, denn ohne sie ist schon bei einer Brennweite von 100 Millimeter Schluss mit ruhigen Aufnahmen aus der Hand. In der ersten Stufe ist das Bild schon deutlich beruhigt, ruckelt aber, wenn das Objektiv bewegt wird und die Stabilisierung versucht, die Bewegung auszugleichen. In der zweiten Stufe wird das Bild ruhiger, es bleiben aber leichte Ruckler. Für eine Optik dieser Brennweite ist die Stabilisierung beachtlich. Selbst bei vollen 600 Millimeter waren ruhige Aufnahmen möglich, vorausgesetzt man stützt das Objektiv auf einer Oberfläche ab. Zudem lohnt es sich gerade bei Tieraufnahmen in der höchstmöglichen Auflösung zu filmen, da man so bei gleicher Brennweite mehr Spielraum hat, nachträglich noch den passenden Bildausschnitt zu wählen und das Bild so nachträglich weiter zu beruhigen. Für vollständig ruhige Aufnahmen in jeder Situation ist aber ein Stativ nötig. Und zwar ein vollwertiges Videostativ, leichte Reise- und Fotostative kommen mit dem hohen Gewicht des Objektives nicht zurecht.

Mit Stativ, Bildstabilisierung und hoher Auflösung ist es möglich, auch hochfliegenden Greifvögeln „in die Augen zu gucken.“ Wie zum Beispiel diesem Rotmilan.
Abseits davon muss man aber festhalten: Es macht Spaß, mit dem Objektiv zu arbeiten. Es ist ohne Probleme möglich, ohne Objektivwechsel für Tiere in jeder Entfernung den passenden Bildausschnitt zu wählen und flexibel auf Veränderungen um einen herum reagieren zu können. Die hohe Offenblende konnten wir in dunkleren Umgebungen gut durch eine höhere ISO-Einstellung abfedern, wofür die verwendete Panasonic S5 Mark II einige Reserven bietet. Die hohe Offenblende bedingt allerdings eine geringe Tiefenunschärfe bei kurzen Brennweiten. Im Supertelebereich bekommt man auch bei Blende 6.3 Aufnahmen mit geringer Tiefenunschärfe ohne Probleme hin.

Die Bokehs der beiden Offenblenden bei 60 respektive 600 Millimetern Brennweite unterscheiden sich deutlich. Während bei Blende 4.5 das Bokeh zweifelsfrei rund ist, treten bei Blende 6.3 deutliche Ecken und Kanten auf.
Im Bokeh sind dann allerdings schon deutliche Ecken und Kanten auszumachen. Demgegenüber ist bei 60 Millimeter mit Blende 4.5 das Bokeh vollständig rund. Am Ende eine Geschmackssache, genau wie der Lens-Flare. Dieser ist vor allem bei starker Direkteinstrahlung als leichter Film und Spiegelungen mehrerer Linsen wahrnehmbar. Abhilfe zumindest bei seitlichem Lichteinfall schafft da die große Gegenlichtblende – oder eben eine Mattebox.

Der Lens-Flare des Sigmas ist deutlich – immerhin sind hier insgesamt 27 Linsen verbaut. Wem das nicht gefällt, der muss zu Gegenlichtblende, Filter oder Mattebox greifen.
DATEN UND TESTERGEBNISSE

FAZIT
Mit einem Preis von 2349 Euro ist das Sigma 60-600mm F4.5-6.3 DG DN OS für ein Superteleobjektiv sehr günstig. Ersetzt das Sigma 60-60mm denn jetzt alle anderen Superteleobjektive? Jein! Einerseits macht die Arbeit mit der Optik Spaß und vor allem die Flexibilität überzeugt, auch die gute Bildstabilisierung hilft bei ruhigen Aufnahmen. Andererseits stören die nicht durchgehende Blende und die fehlende Parfokalität, welche beispielsweise Zoomfahrten unmöglich machen. Doch ganz ehrlich: Uns stört es nicht, denn wer zoomt denn wirklich? Wir nach Möglichkeit nicht, weshalb auch die Problematik der nicht gleich bleibenden Anfangsblende an Bedeutung verliert. Solange man ohne Zoom leben kann und mit schweren Stativen arbeitet ist diese Optik ein Problemlöser. Amateure, die gerne in der Natur unterwegs sind, haben mit dem Sigma in der Tat eine vergleichsweise günstige „immer dabei“-Optik für Aufnahmen von Flora und Fauna.
Autoren: Joachim Sauer, Jonas Schupp / Bilder: Jonas Schupp, Joachim Sauer
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