Filmwerkstatt: Continuity
Beim Spielfilm ist es in der Regel der Drehbuchautor, der zusammen mit dem Regisseur das Storyboard führt. Was da nicht skizziert ist, das erfährt der Zuschauer nicht.Die Chronologie hat eine journalistische und eine filmtechnische Seite. Journalistisch mag dem Dokumentaristen - auch wenn er nur seinen Urlaub in Szene setzt – die 6 W – Regel weiterhelfen: Er fragt sich einfach: Wer handelt, Was wird erzählt, Wann und wo handeln die Szenen, Wem erzähle ich die Geschichte und Wozu mache ich das Ganze, was ist meine Eigenmotivation. Diese Fragen kurz auf einen Zettel notiert und eine kurze Antwort zu jedem W genügen, um mit seinem Werk nicht völlig im Nirvana zu landen. Dass dies auch wenn alle W-Themen gedreht wurden, nicht leicht ist, zeigen Fernseh-Dokus. Häufig fragt sich der Zuschauer noch nach einer Viertel-Stunde wo denn die Geschichte gerade spielt, oder wohin die Story führen soll. Genauso ungeschickt: Die Story springt zu diversen Handlungsorten – und dann wieder zurück zu Orten, die der Zuschauer im Geiste bereits abgehakt hat. Dann kommt die Handlung buchstäblich nicht vom Fleck. Bleiben als Quintessenz also 2 W übrig, die ständig neu formiert sein wollen: Was zeige ich wo!


Und hier krankt es: Die Wirklichkeit hat dem Filmer an einem Drehort eine traumhafte Sequenz beschert, mit wundervollen Protagonisten – alles stimmte, eine Stunde Material war schnell im Kasten. Eine andere Sequenz an einem andren Ort klappte dagegen überhaupt nicht – oder schlimmer noch – sie sah gelungen aus, gibt aber beim Schnitt nichts her. Womöglich kamen Aufnahmeprobleme, Continuityfehler oder Vergesslichkeiten dazu – futsch. Das führt dann im fertigen Film zu den Lücken in der Chronologie oder dazu, dass sich der Film viel zu lange an einer Stelle aufhält, und für Unwichtiges Zeit verbraucht, die an anderer Stelle fehlt.Die filmtechnische Seite der Chronologie liegt darin begründet, dass jede Aktion an einem Drehort wieder eine kleine Geschichte in sich ist. Jeder Protagonist braucht eine Einführung, damit er nicht wie Kai aus der Kiste beim Interview erscheint. Jeder braucht zu dem was er redet oder behauptet Belegbilder. Also: Steht unter dem Interviewten Heiner Meier: Schmied, dann will ihn der Zuchauer auch in dieser Funktion sehen. Redet er darüber, wie Pferde beschlagen werden, dann muss er das auch tun. Dies gibt dann später beim Schnitt die Insertbilder zum Interview. Stimmt die Chronologie zwischen Text, Ton und Bild nicht hundertprozentig überein, ergeben sich Missverständnisse. Die gefürchtete Text/Bild Schere.Einfaches Beispiel: Text: Zum Frühstück besuchten uns am Campingplatz Spatzen und diebische Elstern. Bild: Es sind Spatzen zu sehen, die Elster war am Filmtag leider nicht anwesend, dafür läuft die Erbtante durchs Bild. Wirkung: Sofortige Enterbung, sollte die Betroffene das Werk zu Gesicht bekommen.
Mit der Chronologiethematik verwandt, dennoch von völlig eigener Bedeutung und der Verpflichtung an das Filmmedium geschuldet, ist die Continuity. Sie bezeichnet die Verpflichtung , des Filmteams darauf zu achten, dem Hang zur natürlichen Entropie entgegenzuwirken. Anders ausgedrückt: Sämtliche Versuche des Filmteams, eine unnatürliche Ordnung in der Wirklichkeit herzustellen, also Dinge zu arrangieren, in Szene zu setzen oder auch nur ausgewählte Teile der Wirklichkeit zueinander in Beziehung zu setzen – sind mit zunehmender Zeitdauer dazu verdammt, sich in Auflösung zu begeben. Nichts Geplantes hat Bestand – Davon sollte der Filmer zumindest ausgehen. Die Welt besteht aus einer natürlichen Unordnung und alle Stoffe versuchen zu entfleuchen und sich in einem Raum gleichmäßig zu verteilen. Das hat Folgen – nicht nur für den Spielfilm, wo für die Continuity ein eigener Aufpasser eingeteilt ist. In der Tat hat sie dort aber immense Bedeutung, denn ein Bruch der Continuity hat dort stets einen Bruch der Handlungslogik zur Folge.


Konkret:
- Ist die Zigarette nach einem Umschnitt länger als davor, stimmt etwas nicht (Kurzzeitlogik)
- Sind am Ende des Dialogs Wolken am Himmel, das Gras nass, wo am Anfang eitel Sonnenschein war – muss dazwischen etwas passiert sein. (Mittelzeitlogik)
- Werden die Protagonisten plötzlich blau oder rot, sonnenbestrahlt statt schattig, fand ein Weissabgleichwechsel oder ein Wetterwechsel zwischen den Szenen statt.
- Sollen handelnde Personen über mehrere Tage an Szenen partizipieren, muss deren persönliche Logistik ständig kommuniziert und kontrolliert werden. Sonst haben Sie plötzlich Bärte, kurze Haare, andere Kleider, oder sind terminlich nicht mehr zu fassen und fehlen plötzlich im filmischen Anschluss – was bedeutet, Sie können alles vorher gedrehte wieder vergessen (Langzeitlogik).
Gegenmittel:
Aufs Wetter achten und gegebenenfalls Zwischenschnitte drehen, wenn sich die Sonne hinter Wolken versteckt. Weissabgleichsituationen wenn möglich als Preset speichern oder gleich bei festen Voreinstellungen drehen. Jedem, der an einer Inszenierung teil hat – und wenn er nur eine Requisite beschaffen muss, einen Zettel mit Uhrzeit und genauer Anweisung in die Hand drücken – und ständig mit offenem Continuityauge durch den Sucher schauen.
(mb)
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