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Filmwerkstatt: Dunkelheit

Filmen bei Dunkelheit bereitet dem Filmer schlaflose Nächte – aber was für welche! Zugegeben, ganz ohne den elektronischen Helfer im Rechner geht es heute bei fast keiner Szene mehr ab, wenn es darum geht, eine Drehsituation zu simulieren, die es so nie gab – oder gar nicht geben kann.


  Doch die Schnitt oder Effektsoftware mit ihren zahlreichen nachträglichen Möglichkeiten, zur Farbton und Helligkeitsmodulation ist aufgeschmissen, wenn das Material nicht zumindest so gedreht wurde, dass es mit den Elementen, die in der Nachbearbeitung hinzugefügt werden, harmoniert.
ABC_Dunkel_MB_1 Aunahmen bei Nacht: Sie stellen erhöhte Anforderungen an die Hardware. VFV77b

Die grünweissen Infrarot-Nightshot: Aufnahmen von Sony lassen sich problemlos in der Postpro zu Schwarzweisbildern umformen.

Prädestiniert dafür sind Aufnahmen bei Dunkelheit und Dämmerung, kurz alle Lichtsituationen, in denen der beabsichtigte Lichteindruck für die Szene die Fähigkeiten der Elektronik überfordert. Sicher, sie können verrauscht und vergrieselt auch noch in fast völliger Finsternis filmen – aber schön ist anders. Es sei denn, Sie entschließen sich gleich, den Sony Infrarot-Nachtmodus einzuschalten – wie im Film "Blair Which Projekt" beispielsweise. Der nimmt schwarzgrüne Wärmebilder auf, selbst da, wo das bloße Auge überfordert ist. Dazu lässt er die Iris in angestrahlten Augen unnatürlich leuchten – ideal für Suspense-Szenen. Auch der Color-Nachtmodus, den mittlerweile fast alle Camcorder besitzen, ist für Geisterscheinungen brauchbar. Er setzt in aller Regel den Shutter, also die Verschlusszeit herab und lässt bei Zeiten von 1/6 Sekunde recht interessante Nachzieheffekte hinter bewegten Objekten erscheinen. Clever eingesetzt ergeben sich so gute Traumsequenzen oder Überraschungsmomente. Ein Tipp: Kamera vom Stativ betreiben und den Szenenanfang völlig statisch halten. Erst wenn plötzlich Bewegung ins Bild kommt, tritt der Effekt in Erscheinung.


Doch in den meisten Drehsituationen ist kein Platz für solche Verfremdungen. Beispielsweise am Lagerfeuer. Der Blick auf den Monitor offenbart Enttäuschendes: Entsättigte Farben, verrauschte Schemen, die im Dunkel der Nacht verschwinden. Das Feuer selbst hingegen – gleisend überstrahlt. – wenn es nicht in Großaufnahme erscheint. Was tun: Zunächst den Weißabgleich auf Taglicht oder Dämmerungs­programm einstellen, denn der rettet den gewünschten Farbcharakter und verhindert eine Neutralisierung durch die Automatik. Dann einen Scheinwerfer aufstellen, der das Geschehen rund ums Feuer anstrahlt, das sonst im Dunkel versänke. Darauf achten, dass die Position die Richtung des Feuerscheins unterstützt und nicht etwa plötzlich unmotiviert feuerabgewandte Objektteile bestrahlt. Vor den Scheinwerfer sollte man tunlichst einen Orangefilter hängen und davor einen Rahmen, in dem rote, orangene bis gelbe Folienstreifen gespannt oder gehängt werden. Dieser Rahmen muss von einem Helfer sanft geschwenkt werden – feuerscheinartig eben.

ABC_Dunkel_Kunstlicht_mb Oft ist bei Dunkelheit der wärmere Farbton erwünscht: Den macht der Camcorder aber nur, wenn der Weissabgleich manuell auf Taglicht eingestellt wird. ABC_ohneKopflicht_mb

Ganz ohne Zusatzlicht, bleibt dem Filmer wie so oft im dunklen keine Chance: Eine extern gehaltene Akkulampe wirkt Wunder, eine Tageslicht-Leuchte wirkt gegenüber dem Hintergrund zu blau, es sei denn, sie soll Mondlicht simulieren.

Immer noch zu dunkel?

dann wird es Zeit für den künstlichen Mond. In der Regel wird man heute keine hinterleuchtete Lichtscheibe mehr an Stativ und Rahmen ins Bild hängen, sondern ein Foto des Erdtrabanten via Nachbearbeitung ins Bild stanzen – doch Vorsicht, bei bewegter Kamera, die den Mond mit einfangen soll, sind sehr gute Kenntnisse des Effektprogrammes Voraussetzung. Wie dem auch sei: In jedem Fall kommt das harte weiße Licht bei der noch aktiven Tageslicht-Weissabgleicheinstellung bisweilen noch nicht mondblau genug, also muss eine blaue Folie davor. Der Scheinwerfer für den künstlichen Mond kann nicht stark und hart genug sein – und wird in aller Regel rein gegenlichtig als Spitzlicht verwendet, um Silhouetten aus der Finsternis heraus zu modellieren. Eine ähnliche Aufgabe übernehmen auch Auto-Scheinwerfer, die mit in die Szene integriert werden.

Ist es dann immer noch zu Dunkel? Dann ziehen sie den Darstelern doch helle Kleider an – das wirkt Wunder. Und für die Close Ups können sie ja die Lampe nahe heranrücken. Schließlich können Sie noch mit einer Nebelmaschine hantieren (gibt's günstig beim Bühnenverleih). Die sorgt für Romantik oder wahlweise Mystik – und hellt auch Himmelspartien so auf, dass Silouetten erkennbar bleiben.

Doch denken sie daran: Verbannen Sie die harten Schatten, die Ihr künstlicher Mond oder der Schein-Feuerschein wirft, aus dem Bild – den glaubt ihnen keiner. Wenn Sie im Schnitt noch weitere Bildelemente zur Szene hinzukomponieren wollen, müssen Sie den Lichtfall ganz exakt auf die Lichtstimmung des bereits vorhandenen Materials anpassen. Da reagiert der Zuschauer empfindlich.

Filmen bei Dunkelheit macht Spaß – aber auch Mühe. Die Nacht hat eben ihren Preis – Videofilmer kostet sie immer ein paar Blenden.


Zehn Tipps für Aufnahmen bei Dunkelheit

1. Wählen Sie den Bildausschnitt so, dass die genügend hell bestrahlten Gegenstände den weitaus größten Teil des Motives ausmachen. Die Nähe der Kamera zur Lichtquelle hat kaum Einfluss auf die Bildhelligkeit. In klarer Nacht ist ein Gegenstand aus 1m Entfernung betrachtet genauso hell wie aus 100 Metern Entfernung gefilmt.

2. Gefilmte Lichtquellen überstrahlen und zeigen außer bei CMOS-Bildwandlern hässliche, senkrechte Ausblühungen, Smear genannt. Filmen Sie stattdessen lieber die bestrahlten Gegenstände.

3. Achtung: Monitore sind meist sehr hell eingestellt und täuschen mehr Durchzeichnung und weniger Rauschen vor als später bei der Präsentation zu sehen ist.

4. Für Nachtaufnahmen eignen sich besonders Schaufensterpassagen, beleuchtete Straßenzüge, angestrahlte Bauwerke und verkehrsreiche Kreuzungen. Je mehr Lichtquellen, desto aufregender ist die Szene.

5. Verzichten sie auf Übersichtsaufnahmen – die haben in der Regel zu große Schwarzanteile.

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Lichtstreifen: Ein hartes Gegenlicht erzeugt senkrechte Störstreifen, den Smear.

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Camcorder sind lichtstärker als digitale Fotoapparate: So kann auch die Regenspiegelung problemlos aufgenommen werden, doch erst ein gegenlichtiges Streiflicht modelliert die Figuren aus dem Dunkel. Nun lässt sich auch ein Mond oder Sterne ins Bild eintricksen.

6. Für Skyline-Aufnahmen verwenden sie den Lowspeed-Shutter länger als 1/12 Sekunde und halten die Kamera still.

7. Ein helles Objekt im Vordergrund wird von anderen Lichtern, die aus der Ferne herüberscheinen unterstützt. Beispiel: Vorne Laterne, hinten eine angestrahlte Kirche.

8. Verwenden Sie eine Akkulampe – aber getrennt vom Camcorder. Diese kann zur seitlichen Aufhellung wichtiger Bildteile oder zum dezenten Anstrahlen zu dunkler Bildbereiche, beispielsweise von Zweigen oder Blättern verwendet werden.

9. Bei Dämmerung versagt der Auto-Fokus. Stellen Sie manuell scharf, vor allem, wenn Sie einem bewegten Objekt folgen wollen.

10. Filmen Sie lieber bei Dämmerung als im Stockdunklen. Der noch helle Himmel bringt das nötige Grundlicht und eine bezaubernde Stimmung.

(mb)

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