Filmwerkstatt: Ellipse und Zeitsprung
Für eine so lange Erklärung hatte die Metzgereifacherkäuferin keine Zeit – deshalb wählte sie eine Ellipse (griech. Élleipsis – Aussparung), um sich auszudrücken. Ein unter Sprach- und Filmwissenschaftlern gängiger Begriff. Genau das gleiche Problem haben Sie in der Videomontage. Viele Szenen mit vielen redundanten Inhalten wurden gedreht und wollen auf einen knackigen Brennpunkt zentriert werden – sonst wird's langatmig oder gar langweilig.
In der Praxis gibt es grob gesagt 3 Arten von Ellipsen, die unterschiedlichen Zwecken dienen:


1. Der Zeitsprung
Er ist stets offensichtlich und soll, ja muss dem Zuschauer verdeutlichen, dass zwischen dem vorher erzählten und der aktuellen Szene ein Sprung im Raum-Zeit Kontinuum stattgefunden hat. Wenn das nicht durch Bildsprache gelingt, dann steht an diesen Stellen meist ein Titel mit so aufregendem Inhalt wie : Eine Woche später – oder eben auch zwei Jahre früher. Die Filmgeschichte kennt deutlich cleverere Beispiele, um ohne solche Krücken auszukommen. Die Hand, die Kalenderblätter abreißt, war schon zu Stummfilmzeiten beliebt. In "Und täglich grüßt das Murmeltier" war es der Blick auf den Wecker, der exakt den Beginn eines neuen Zeitabschnittes markierte. In diesem Fall mit der filmtheoretisch interessanten Feinheit, dass, obwohl der Zuschauer denkt, dass Zeit vergeht, gar keine vergangen ist – da der Film eine Zeitschleife vorspielt. Hauptdarsteller Bill Murray muss stets den gleichen Tag immer wieder erleben. Übersetzt in einfache Urlaubsfilm-Dramaturgie heißt das: Es lohnt sich, sich Gedanken zu machen, wie der Zeitfluss dargestellt werden kann, um dem Film Ablauf und Form oder auch nur Pepp zu geben. Das Gesicht des Partners an der identischen Stelle in Großaufnahme, einmal in käsig am ersten Tag und einmal knackebraun kurz vor Abfahrt ist z. B. so ein Stilmittel.
2. Die erzählerische Ellipse
Einfache Regel: Wenn nichts passiert, muss man auch nichts zeigen. Das klingt logisch, dennoch haben selbst Profis damit Schwierigkeiten, alles Unnötige aus dem Film zu entfernen. Im Amateurfilm trauen sich die Filmer noch nicht einmal die Umbaupausen im Theaterstück zu kürzen. Glauben Sie es: Sie tun dem Zuschauer nur etwas Gutes, wenn lange Festreden auf einen Kernsatz reduziert werden oder lange Gänge (Theatersprache: Jemand läuft von A nach B) einfach weggelassen werden. Gewöhnen Sie sich an, überhaupt niemanden von A nach B laufen zu lassen, wenn unterwegs nichts Einschneidendes passiert. Fragen Sie sich immer bevor Sie auf den Auslöser drücken: "Welche Geschichte erzähle ich" – und: "Ist das, was ich gerade filme, wichtig dafür". Versuchen Sie, nur ein einziges Kernthema filmerisch zu erfassen. Beim Dreh kommt dennoch mehr als genug Material zusammen, die knallharte Wahl erfolgt erst in der Montage – und da sollte wirklich alles rausfliegen, was nichts in der Story verloren hat. Filmzeit ist zu wertvoll. Wer Unterhaltungsfilme analysiert, wird sogarfeststellen, dass jeder Drehort mittlerweile auf eine kurze Kernsequenz reduziert ist, dann kommt schon ein elliptischer Sprung zu einer anderen Location. Die bange Frage des Anfängers: "Passt denn dann auch noch alles irgendwie zusammen?", beinhaltet den gesamten Rest der Filmkunst, von Continuityfragen bis zur Bühnen und Szenengestaltung. Und: Vordenken muss der Dramaturg die Ellipse noch immer: Was verkraftet mein Zuschauer: Das Wichtigste ist aber ganz einfach und mit Ellipse Nr. 3 zu erklären:


3. Die gedankliche Ellipse
Wie gesagt: Jemand geht aus dem Bild– jemand kommt an. Was dazwischen war, interessiert nicht. Der Zuschauer ersetzt alles dazwischen mit seinem Vorstellungsvermögen perfekt und reagiert eher ärgerlich, wenn er mit derlei Sinnlosem konfrontiert wird. Achten Sie nur darauf, dass der Darsteller auf der jeweils anderen Bildseite in die Szene tritt, als er sie verlassen hat. Das ist wichtig, um den Schnitt sanfter zu gestalten. Auch Hollywood dreht bis heute noch jede Verfolgungsjagd so, das nur die spektakulären Stunts hintereinander geschnitten werden – bei weitem nicht die gesamte Jagd – und dennoch die Bewegungsrichtung der Fahrzeuge beibehalten wird. Links rein, Rechts raus heißt die Faustregel.
Das Rezeptionsverhalten
des Menschen auf visuelle Reize hat sich in den letzten 100 Jahren stark verändert. Musste man früher alles vorkauen, strickt das Raum-Zeit Kontinuum einhalten, um den Zuschauer nicht aus der emotionalen Bahn zu werfen, ist das heute gelernt und viel freier. Schnell gedrehte Actionfilme sind schließlich auch eher etwas fürs jüngere Publikum. Schuld sind die Auslassungen, die extrem dynamisch und abrupt gehandhabt werden. Früher galt: Nutze eine Bewegung deines Darstellers zum Umschnitt, Beispielsweise ein Aufschauen, Aufstehen, in eine folgende Einstellung mit dem gleichen Darsteller. Heute ist es zweitrangig, wenn nach dem von einer Person eingeleitetem Schnitt jemand ganz anderes durchs Bild läuft. Das Hirn ersetzt die fehlende Information. Noch ein Trick aus der elliptischen Zauberkiste: Wenn Sie schon einen kontinuierlichen Ablauf aus mehreren Blickwinkeln zeigen müssen, dann schneiden Sie mit dem Schnittpunkt einen Moment des Bewegungsablaufes weg. Der Umschnitt funktioniert nämlich im Hirn wie ein kräftiges Blinzeln. Und da vermutet das Hirn ist die Bewegung in der Zwischenzeit weitergegangen.


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