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Report: Virtueller Broadcast-Studio-Service eröffnet völlig neue Möglichkeiten

"All you need is green" – dachten sich die Illusioneers aus München und versprechen mit einer ortsunabhängigen Dienstleistung mit geringem Aufwand virtuelle Studio-Produktionen auf Fernseh-Niveau.


VA praxis logo 50px PRAXIS - REPORT:Virtueller Broadcast Studio Service von Illusioneer

Im Meetingraum haben die Illusioneers ihr portables Grün aufgebaut. Und das dauerte nicht lang, denn zwei Leute bauen das mobile Setup in zwei Stunden beim Kunden auf. Und schon ist der Raum in ein Greenscreen-Studio verwandelt: Es steht eine grüne, ausgeleuchtete Hohlkehle und davor zwei drehfertige Kameras auf Stativen, die ihr Signal via HDMI adaptiert auf SDI über Encoder ins Internet schicken. Das Besondere: Die Aufbau-Crew verschwindet wieder und der Kunde bleibt alleine vor der Kamera zurück. Er spricht über sein Ansteck-Mikro mit dem Hauptquartier der Illusioneers und wird von dort aus betreut. Denn das Ganze funktioniert, sofern kein Personal vor Ort gewünscht sein sollte, unbemannt. Denn gerade Personen, die nicht ganz so geübt sind, lassen sich von außen herumturnenden Technikern leicht irritieren. Entsprechend verlagern die Illusioneers die Regieunterstützung ins vielleicht gar nicht so ferne München. Entsprechend wirkt der Aufbau im Besprechungsraum des Kunden schon beinahe wie ein Geisterstudio. Zumal auf dem Kundenmonitor ein Bild sichtbar ist, das den Kunden in Echtzeit auf die virtuelle Bühne stellt.

1 Greenscreen mobiles Setup web

Das portable Studio der Illusioneers passt in einen Van und ist in zwei Stunden einsatzbereit. Ob auf einer Messe, wie hier auf den Medientagen München, oder vor Ort beim Kunden. Platzbedarf: 4m Breite des Grüns inkl. Stativen und mindestens 5m Tiefe von der Kamera aus (diese wird hier verdeckt vom großen Monitor).

Der Meetingraum beim Kunden wurde an das technische Hauptquartier der Illusioneers in Grünwald auf dem Bavaria Filmgelände angebunden. Dort werden alle eingehenden, vor Grün gedrehten Videosignale, verarbeitet und dann „veredelt“ zurück an den Kunden oder auch parallel direkt ins Streaming geschickt. Unabhängig davon können die einzelnen Kamera-Signale noch mit Hyperdecks von Blackmagic Design aufgezeichnet werden. Die Münchner verstehen sich als Scale-Up, also ein Start-Up mit Berufserfahrung. Hervorgegangen sind die Illusioneers aus der Filmproduktion und Agentur „Filmographen“. „Am Anfang stand die Not eines unserer Kunden, der seine Messe aufgrund der ausgebrochenen Pandemie plötzlich auch online halten musste. Und die üblichen langweiligen Streams waren für uns keine Alternative“, meint Daniel Silber, Gründer und Geschäftsführer. „Illusioneers bieten dank virtueller Bühnen und TV-Erfahrung auch mittelständischen Unternehmen Zugang zu high-end Bewegtbildkommunikation“, sagt Steffen Müller, Geschäftsführer.

5 Technik in Grünwald web

Die Hyperdecks können alle Signale unabhängig voneinander aufzeichnen, womit nachträgliche Korrekturen auch nach einer Session im Studio möglich sind. Sie sind verbaut in einem mobilen Rack, zusammen mit den beiden Ultimatte-Keyern und dem Herz der Signalverarbeitung, dem Blackmagic Atem Constellation 8K und zwei PC-Rechnern, auf denen die 3D-Software bzw. V-Mix läuft.


Einmal eingerichtet steht und läuft das Set von selbst. Sämtliche Kamera-Bewegungen entstehen digital, also Software-basiert auf der Gaming-Plattform „Unreal Engine“ - und ohne die teuren, physisch getrackten Kameras. Im diesem Fall stehen zwei Sony FX-3 vor dem Grün und liefern UHD-Auflösung mit 4:2:2-Farbsingal, was eine wichtige Grundlage für das Keying ist. Ein sauberer Key ist essentiell für den Signalaustausch, der mit Hilfe des Technik-Partners TVU und deren Encodern erfolgt. Diese wandeln das Kamerasignal für den Weg durchs Internet. Wahlweise kann auch über das Mobilfunkdatennetz gestreamed werden, es genügt eine Bandbreite von 10Mbit/s up/down. Weitere Encoder empfangen das von den Illusioneers zurück geschickte Signal, damit sich der Kunde auf dem Monitor auch auf seiner Bühne sehen und orientieren kann.

7 Kunde auf Buehne web

Holoride ist ein Start-up, das u.a. auch Audi und HTC als Partner hat. Der CEO und Co- Founder Nils Wollny hat die Launch-Keynote auf einer unserer virtuellen Bühnen erstellt: siehe dieses YouTube-Video.

Das Keying erfolgt entsprechend in Grünwald mit zwei Blackmagic Design „Ultimatte 12“-Keyern – die besten Keyer, die der AV-Markt zu bieten hat. Die Illusioneers haben ebensop günstigere Möglichkeiten getestet, doch es hat sich schnell herausgestellt, dass man an dieser Stelle nicht sparen kann. Selbst die teure High-End-Studiotechnik von Blackmagic Design, die 5x 4K HyperDecks, mussten mittels Script-Programmierung an die flexiblen Bedürfnisse angepasst werden. Doch der Aufwand hat sich gelohnt, denn nun sieht sich der vor grün stehende Kunde auf seinem Monitor in der virtuellen Umgebung - mit einer tolerierbaren Latenz von rund einer Sekunde, was somit auch die Interaktion erleichtert. Ob der eingebundene Kunde bei Produktvorstellungen oder der Schüler im Unterricht ist: so kann der Moderator direkt auf Fragen eingehen, die auch via Chat gestellt werden können. Kürzlich sind live steuerbare Augmented Reality Elemente hinzugekommen, welche von einem kompletten Auto bis zu einer in der Größe skalierbaren Getränkedose reichen können. Dazu muss lediglich ein entsprechendes 3D-Modell des Objekts vorliegen.

8 Blackmagic Hardware web

Das Rack mit (v.o.n.u.) mit zwei Ultimatte-Keyer, Steckfeld mit Funkton-Empfängern, zwei zertifizierte Rechner, der Atem Contellation 8K und fünf Hyperdecks.

Prämisse der Illusioneers war es von Anfang an, den Zugang für den Kunden möglichst einfach zu halten. „Bei der Entwicklung waren und sind Automatisierung und Vereinfachung für uns oberste Priorität“ sagt Daniel Silber, Gründer und Geschäftsführer. „Dem zugrunde liegt unser Leitgedanke der Verfügbarkeit, also den einfachen und erschwinglichen Zugriff auf bisher nur den TV-Studios vorbehaltener Technik. Mit unserer Innovation wollen wir keine Leuchtturm-Projekte, sondern wirklich die Masse erreichen.“.


Deshalb muss man auch nicht ins Illusioneers-Studio nach Grünwald kommen, sondern kann sich mit seinem „grünen Signal“ andocken. Diese Vereinfachung und Dezentralisierung vom Studiobetrieb ist der Kern des Projekts. Im Live-Betrieb kann man zwischen den Kameras schneiden und hat über sein iPad sogar noch Zugriff auf alle weiteren Funktionen, so dass sich das Studio von einer Person bedienen lässt – selbst dann, wenn sie gleichzeitig selbst vor der Kamera steht. So hat Daniel Silber seinen Videocall mit uns in einem normalen Zoom-Meeting begonnen, als er in einem Nebenraum saß. Parallel war die leere, grüne Hohlkehle sichtbar. Schon das zuschalten der virtuellen aber noch leeren Bühne sah gut aus, doch als er sich samt seinem Laptop auf die Bühne wagt wird schnell klar, was mit Broadcast-Technik gemeint ist: Die Person wird sehr natürlich inklusive Schatten im virtuellen Raum gezeigt – so wie man das heute bereits zum Beispiel aus Nachrichtenstudios kennt.

9 Automatisierung Kamerabewegung web

Obwohl die Kameras statisch im Raum stehen, sind Kameraflüge ein wesentlicher Vorteil, der es ermöglicht mit einem kleinen realen Raum eine große Welt zu erzählen. Zu deren Berechnung wird der Mensch in ein 3D Modell verwandelt und bildet so die Basis für die Berechnung der virtuellen Kamerabewegungen in den live-fähigen 3D-Umgebungen.

Dabei steuert Daniel Silber lässig die verschiedenen vordefinierten Kamerabewegungen, so dass die „Ein-Personen-Bedienung“ selbst vom Moderator keine Theorie ist. „Dieser Aspekt der dezentralen Nutzung und selbstbestimmten Steuerung ist praktisch und ermöglicht uns eine revolutionäre Preisgestaltung“, meint Daniel Silber. „Die nächsten Wünsche unserer Kunden ergeben sich immer fast schon von selbst. So haben wir zum Beispiel die Option mehrere Personen zeitlich und räumlich voneinander unabhängig in einem Set gleichzeitig auf derselben virtuellen Bühne erscheinen zu lassen realisiert.“ So müssen vielbeschäftigte Entscheider nicht um die Welt fliegen um gemeinsam mit Kollegen auf der selben Bühne zu sprechen. In Anlehnung an Sciencefiction nennen sie es „Teleportieren“, wenn sie Menschen aus verschiedenen Kontinenten und Studios auf eine Bühne holen. Die Größe des aufgebauten Grüns gibt natürlich dabei die Grenzen der Bewegungsfreiheit vor. Bei drei bis vier Meter Breite kann man sich glaubwürdig auf der virtuellen Bühne bewegen. Aus mehreren exklusiven vorgefertigten 3D-Studio-Umbgebungen kann man sich seine Umgebung aussuchen und dank der virtuellen Screens und Flächen im Studio individuell bespielen und so schnell das Branding und die Farbgebung der Firma adaptieren. Das nennen die Illusioneers das „Onboarding“.

11 Teleportieren web

Die Illusioneers sprechen von „Teleportation“, wenn es darum geht, zwei Personen auf einer Bühne zu vereinen, obwohl die beiden an unterschiedlichen Orten sind. Grün ist ja grün, egal wo auf der Welt – und wird das Signal live ins Studio gestreamed oder aufgenommen und per Datentransfer eingeschickt, können Keynotes und Kongresse künftig dezentral, ohne Reisen und ohne voraufgezeichnete Videobotschaften stattfinden.

Hierzu schickt der Kunde seinen Content, also Logos, Präsentationen und Filme per Mail und in der Regie werden diese klassisch in der Mischer-Software „VMIX“ den entsprechenden virtuellen Flächen zugewiesen. Die virtuellen Tabellen erhalten ihre Daten und es erfolgt eine kurze Einweisung in die Steuerung. Und schon steht der Kunde selbst auf seiner Bühne und kann seinen Text vom Teleprompter ablesen. Hierzu wird dann aber doch Personal benötigt, denn wechselnder Content auf mehreren Screens, Video-Call-Ins oder sich live ändernde AR (Augmented-Reality)-Tabellen müssen auf Kommando händisch geändert werden. Es handelt sich also letztlich um kostenpflichtige Ausbaustufen, wobei sich die beiden Gründer für einen vergleichsweise günstigen Einstieg entschieden haben: Bei 2500 Euro für die erste Stunde „Airtime“ inklusive des kleinen Onboarding. Wie meistens wenn High-Tech im Spiel ist, so ist nach oben vieles offen: „Wir arbeiten auf Wunsch auch mit einem Ü-Wagen, damit eine stabile Internet-Anbindung garantiert ist, zum Beispiel bei großen Events, bei denen viele Leute sowohl WLAN als auch mobile Daten nutzen. Da ist der gute alte Satelliten-Uplink eben nach wie vor der einzige Garant für unabhängige Stabilität.“


Als bewussten Hingucker haben sich die beiden für die Umsetzung eines riesig anmutenden Sets entschieden, was auf den Namen „LED-Stage“ hört. Die LED-Stage wurde inspiriert von einer real gebauten Bühne einer Jahrespräsentation eines Automobilkonzerns, um eine Alternative zu riesigen LED-Wand-Aufbauten, das Personal, die Rechenpower, der Platzbedarf und der Stromverbrauch zu zeigen. Die Vision ist, dass man bald den nächsten logischen Schritt in die Cloud macht. Somit sollen noch mehr Streams gleichzeitig möglich sein und die Automatisierung das „teleportieren“ standardisieren. Am besten gleich via App, nachdem man das nötige Setup samt grün, dem Licht und den Kameras in einem kleinen Karton samt Aufbauanleitung per Post erhalten hat.

12 Studiosetting Onboarding web

Auch die Regie wirkt überschaubar und für jede externe Bildquelle bzw. Anwendung wird bewusst eine eigene Device verwendet. Es steht also je ein Laptop bereit für das Hosten von Zoom-Calls, das Einspielen von Powerpoints in das Live-Set, sowie das Steuern des Teleprompters. Der Content für die virtuellen Screens auf der Bühne wird einfach via eMail eingesendet und mit dem Windows Explorer in den V-MIX Bildmischer geladen. Die saubere Trennung von Signalwegen ist Garant für eine stabile Plattform.

Bestenfalls wählt man dann in der Handy-App sein Studio aus, lädt seinen Content selbst hoch, bucht sich seinen Streaming-Slot und legt dann einfach los. Aber bis dahin wird es wohl noch ein paar Jahre brauchen und Investoren bedürfen. Konkret werden nun Kooperationen mit bestehenden Studios angestrebt, um ein Netzwerk aufzubauen, was technisch zertifiziert ist und es dem Kunden leichter ermöglicht, ein Teil dieser Welt auf virtuellen Bühnen zu sein. Wir sind gespannt und bleiben dran.

13 Hingucker web

Ein kleines Grün, kein Personal im Raum und statische Kameras sorgen für eine große virtuelle Bühne, die im Live-Betrieb überzeugt. Ein beeindruckender und zeitgemäßer Schritt in der digitalen Tech-Entwicklung.

Autoren: Joachim Sauer / Bilder: Illusioneer

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